Repatrianten und Neubesiedlung
Im Verlauf des Krieges waren in Kamenz außer der Sprengung der Neißebrücken durch die abziehende Deutsche Wehrmacht und die Plünderung des Schlosses und anschließende Brandstiftung durch sowjetische und polnische Truppen nur geringfügige Schäden entstanden. Eine durchgreifende Zäsur jedoch setzte die politisch motivierte Völkerverschiebung, der sowohl die damaligen deutschen als auch die nachfolgenden polnischen Einwohner ausgesetzt waren. Gemäß den Beschlüssen der Konferenz von Jalta im Februar 1945 und dem Abschlussprotokoll der Potsdamer Konferenz vom August 1945 verlor Polen mit der Festlegung der „Curzon-Linie“ als zukünftige Ostgrenze rund 180.000 km² seines früheren Territoriums an die Sowjetunion. Dafür fielen Polen die Ostgebiete des Deutschen Reiches, darunter auch der größte Teil Schlesiens, zu. Mittlerweile waren zu den 2.600 verbliebenen Kamenzer Einwohnern und Flüchtlingen aus dem Raum Breslau etwa 1.200 so genannte „Repatrianten” aus Zentralpolen sowie den polnischen Ostgebieten gekommen.Nach der abgeschlossenen Vertreibung und Neuansiedlung von Polen in der Gemeinde kamen etwa 60% der Einwohner aus den ehemaligen Woiwodschaften um Tarnopol, Lemberg und Stanisław, die übrigen aus Wilna, Nowogrod, Polesien und Wolhynien. Dabei versuchten ganze Dorfgemeinschaften in den neuen Siedlungsräumen zusammen zu bleiben. Aber – auch wenn die politische Propaganda das Land als „Wiedergewonnenes Gebiet“ oder als „Alte Piastengebiete, heimgekehrt zum Mutterland“ bezeichneten und die Zwangsumgesiedelten mit verbesserten Lebensbedingungen gelockt wurden, so konnten die neuen Lebensräume die Siedler nicht für ihre verlorene Heimat entschädigen. Dennoch entwickelte sich bald nach Ankunft der Siedler wieder neues Leben. In der einstigen evangelischen Schule in der Mühlgasse begann Ende Oktober 1945 das neue Schuljahr mit 81 polnischen Schülern. Ab dem Schuljahr 1946/47 kam die alte katholische Schule auf dem Kirchplatz hinzu. In der katholischen Kirche wurden die ersten polnischen Gottesdienste durch einen Pfarrer abgehalten, der sich im einstigen Baitzen niedergelassen hatte. Bald nahmen die neuen Bewohner auch ihre alten Sitten und Gebräuche wieder auf, die sie an ihre verlorene Heimat erinnerten. Dazu gehören die mit Jahreswechsel und Landwirtschaft verbundenen Volkstraditionen, wie beispielsweise das Gänserupfen und Erntedankfeste. Bis heute bleibt noch die östliche Herkunft auch in der Küche sichtbar, wenn es zu hohen Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten die über Generationen überlieferten Speisen serviert werden.
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