Das Gotteslob verstummt nach 602 Jahren
„Freytags, als den 23ten November im J. 1810 wurden sämmtliche Conventualen früh um 9 Uhr in das gemeinschaftliche Speisezimmer berufen; wir waren versammelt, der edle Graf eröffnete seinen Vortrag und sprach mit oft gebrochener Stimme das Todesurtheil dem alten Stifte. Rüherend war die Scene, als er von dem Drange seiner Gefühle überwältiget in der Mitte seiner Rede einhielt, die Hände rang und mit matter Stimme ausrief: Meine Herren! es ist schrecklich, aus den Verhältnisse, denen man sich lebenslang gewidmet, so herausgerissen zu werden.“ Quelle: Gregor Frömrich: Kurze Geschichte der ehm. Cistercienser Abtey Kamenz in Schlesien von einem Mitgliede derselben – Zum Besten der in Kamenz am 9ten Februar 1817 des Nachts abgebrannten Kirche, Glatz 1817.
Mit der Übernahme der Regierungsgewalt in Schlesien durch Preußen war Kloster Kamenz in große wirtschaftliche und monastische Schwierigkeiten geraten. Die letzten Äbte schafften es nicht, die Finanzen zu sanieren, das Kloster zu reformieren und die Mönche wieder zur Einhaltung klösterlicher Prinzipien zu bewegen. Nach dem Tode des Prälaten Raphael Rösler (1729-1808) verbot die Regierung zunächst die Wahl eines neuen Oberen. Erst 23 Monate später, am 24.1.1810, wurde der Administrator P. Placidus Hoffmann (1752-1829) zum Abt gewählt. Er leitete das Stift nur zehn Monate.
Am 23. November 1810 erschien Graf Karl Friedrich von Pfeil und Klein Ellguth, königlich-preußischer Landschaftsdirektor und Justizrat, Erbherr auf Groß-Wilkau, in Kamenz und gab Abt und Konvent das Säkularisationsedikt bekannt. Graf von Pfeil entledigte sich seines Auftrages mit Takt und Einfühlungsvermögen.
Mit Abt und einem Konversen bestand der Konvent bei der Aufhebung aus 38 Mönchen, im Alter von durchschnittlich 46 Jahren. Davon waren 17 in der auswärtigen Seelsorge tätig. Wegen Alters oder mangelnder Gesundheit waren 6 Zisterzienser vom regulären Chordienst suspendiert. Zur Feier des Offiziums standen nur 14 Mönche zur Verfügung. Binnen vier Wochen mussten die meisten Konventualen das Kloster verlassen. Als Entschädigung für die Enteignung erhielten sie je nach Alter eine monatliche Pension von 12, 15 oder 20 Talern, wovon sie Unterhalt und Wohnung zu bestreiten hatten. Der Aufforderung den Habit abzulegen, folgte eine einmalige Zahlung von 30 Talern für die Beschaffung weltlicher Bekleidung. Besonders den älteren Konventualen fiel es schwer, sich in einer Welt zurechtzufinden, die ihnen fremd war. Sie hatten nicht nur ihre klösterliche Heimat, sondern auch ihren Berufungsauftrag verloren. Der Konvent wurde in alle Winde zerstreut, begab sich in die umliegenden Städte oder zur Aushilfe in die umliegenden Landpfarreien. Die Klosterkirche diente fortan der Gemeinde Kamenz als Pfarrkirche. Zum Pfarrer wurde einer der ehemaligen Konventualen bestellt. Abt Placidus Hoffmann begab sich nach Reichenstein.
Materiell stand der Wert der Besitzungen von Kamenz mit geschätzten 294.000 Reichstalern an zehnter Stelle hinter dem Breslauer Klarissenkloster, der Abtei Rauden und dem Breslauer Vinzenzstift. Stift und Klostergüter gingen in die Hände staatlich beauftragter Administratoren über und wurden größtenteils versteigert. 1812 kam es zum Verkauf eines großen Teils der Paramente. Kunstschätze, Stiftsbibliothek und -archiv wurden nach Breslau geschafft, etliche der in Kamenz verbliebenen Schätze verschleudert, darunter die meisten der 1702 geschaffenen 46 Barock-Portraits der Kamenzer Äbte
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