Ein Grab dient in erster Linie den Angehörigen als Ort der Trauer. Der dort angebrachte Grabstein bewahrt aber nicht nur das Andenken an den Verstorbenen, er erzählt häufig auch von Familienschicksalen. So lässt die Inschrift „Klaus Henning Pralle 1938 – 1949“, die in die hölzerne Grabstele geschnitzt ist, erahnen, dass hier ein junges Leben viel zu früh beendet und eine Familie in tiefe Trauer gestürzt wurde. Die auf die Lebensdaten folgenden Worte „nahm fern der schlesischen Heimat Gott zu sich“ verraten aber auch, dass der Tod des geliebten Sohnes nicht der einzige Schicksalsschlag war, mit dem die Familie fertig werden musste.
Der im Mai 1938 geborene Klaus Henning war das vierte von fünf Kindern der bis 1945 in der Nähe von Bunzlau lebenden Familie Pralle. Sein Vater Dr. Ernst-Egon Pralle (1900 – 1967) war damals Inhaber der Kalk und Zementwerke in Ober Großhartmannsdorf. Nach dem Abitur absolvierte er zunächst ein einjähriges Praktikum als Bergarbeiter, bevor er an der Technischen Hochschule in Breslau und später in Berlin studierte. Der junge Ingenieur musste nach dem frühen Tod seines Vaters Gustav schon als 25-Jähriger dessen Betrieb übernehmen. In den folgenden Jahren gelang es ihm, das Werk stetig auszubauen und zu erweitern.
Doch auch wenn Ernst-Egon Pralle aufgrund der Unabkömmlichkeit in dem als kriegswichtig eingestuften Betrieb, nicht an die Front musste, blieb die Familie von den Kriegsereignissen nicht verschont. Für Klaus Henning und seine Geschwister endete mit der Flucht aus Schlesien jäh die sorglose Kindheit. Mit Lastwagen und Bahn floh Mutter Ruth mit ihnen zunächst zu Verwandten in den Harz und gelangte nach mehreren Stationen schließlich im August 1945 ins niedersächsische Ahlshausen.
Als Klaus Henning auf das Gymnasium kam – das am besten zu erreichende befand sich in Einbeck – wurde er, wie schon sein älterer Bruder und seine Schwester, bei Pensionseltern untergebracht. Die Kinder stellten seinerzeit keine Ausnahme dar. Aufgrund der angespannten Wohnsituation und der schlechten Infrastruktur wurden viele Kinder, damit sie eine weiterführende Schule besuchen konnten, im Internat oder gegen Bezahlung in Pflegfamilien untergebracht. Am Wochenende fuhren sie dann, wie es auch aus den Erinnerungen von Klaus Hennings Schwester überliefert ist, nach Hause zu den Eltern.
An einem Samstag im Februar 1949 kam ihr Bruder Gert ohne Klaus Henning zum Einbecker Bahnhof, von dem aus sie gemeinsam nach Hause fahren wollten. Klaus Henning habe Fieber berichtete er. Der Kinderarzt war bei ihm gewesen. Doch am Folgetag kam dann die traurige Nachricht, dass der Bruder gestorben war.
Einige Tage später wurde der 10-Jährige beigesetzt – „fern der Heimat“ wie auf der Grabstele zu lesen ist. Für viele Vertriebene, die noch lange hofften, eines Tages wieder in die Heimat zurückkehren zu können, ein Schritt, der ihnen besonders schwerfiel, hätte doch die ersehnte Rückkehr bedeutet, die Verstorbenen in der Fremde zurückzulassen. Sicher war auch bei der Familie Pralle 1949 die Hoffnung wieder nach Großhartmannsdorf zu können, noch groß. Ein Trost mag deshalb gewesen sein, dass das Grabkreuz eine Freundin aus der alten Heimat gefertigt hatte: Elsbeth Siebenbürger (1914 – 2007). Die gebürtige Liegnitzerin hatte damals an der Warmbrunner Holzschnitzschule studiert und war in Großhartmannsdorf ein gerne gesehener Gast gewesen.
Die in vielfacher Hinsicht bewahrenswerte Grabstele erinnert also nicht nur an einen viel zu früh verstorbenen Jungen, sondern auch an das Schicksal und das Fremdsein vieler schlesischer Familien nach der Vertreibung sowie an die talentierte Bildhauerin Elsbeth Siebenbürger. Deshalb wurde die Stele von der Familie vor kurzem in die Sammlung von HAUS SCHLESIEN gegeben.
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