
SEMINARBETRIEB
Das Kultur- und Bildungszentrum HAUS SCHLESIEN hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit einer breiten Öffentlichkeit in Dialog zu treten und sie mit Themen aus Geschichte, Kultur und Verständigungspolitik, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Schlesien stehen, vertraut zu machen.
STUDENTENSEMINARE

Unter dem Titel „Schlesische Begegnungen“ finden jedes Jahr ca. 10 Seminare in Zusammenarbeit mit polnischen Hochschulen im HAUS SCHLESIEN statt. Hierzu kommen mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums des Innern polnische Germanistik- und Geschichtsstudenten zu jeweils einwöchigen Seminaren nach Königswinter. Zu dem umfassenden Programm gehören u.a. Zeitzeugengespräche, Exkursionen und die intensive Bearbeitung von Themen im Spektrum Deutschland – Polen. Die Seminare werden von den Universitäten offiziell für den Studiengang anerkannt.
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Academia Silesia 2022

Zweite „Academia Silesia“ im HAUS SCHLESIEN – junge Multiplikatoren im deutsch-polnischen Dialog
Ein besonderer Höhepunkt des Jahres 2022 im HAUS SCHLESIEN war die „Academia Silesia“, bei der im Rahmen der Seminarreihe „Schlesische Begegnungen“ deutsche und polnische Studierende eine inhalts- und erlebnisreiche Woche miteinander verbrachten. Es war die zweite Veranstaltung dieser Art überhaupt. Organisiert wurde das vielfältige Programm federführend von Adam Wojtala vom Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) im HAUS SCHLESIEN, für das Konzept verantwortlich waren Prof. Dr. Marek Hałub vom Germanistischen Institut der Universität Wrocław, Dr. Christoph Studt vom Institut für Geschichtswissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität und die Leiterin des DIZ, Nicola Remig.
Während bei den „Schlesischen Begegnungen“ polnische (und bald auch wieder tschechische) Studierende zu Besuch ins HAUS SCHLESIEN kommen und nur gelegentlich auf deutsche Kommilitoninnen und Kommilitonen treffen, absolvierte die binationale Academia-Gruppe von Anfang an ein gemeinsames Programm. Dazu gehörten neben dem Besuch des Kölner Doms als Ruhestätte der ersten polnischen Königin Richeza von Lothringen und des Hauses der Geschichte in Bonn auch eine Exkursion nach Brüssel ins Europäische Parlament und wissenschaftliche Vorträge. Ziel war es, nationale Blickwinkel zu überdenken und die deutsch-polnische Geschichte in Bezug auf die Region Schlesien aus europäischer Perspektive zu betrachten. So wurden die Verflechtungen des gemeinsamen Kulturerbes in Schlesien anhand europäischer Erinnerungsorte herausgestellt.
Der erste Tag im HAUS SCHLESIEN diente dem Kennenlernen, sowohl der Einrichtung als Gastgeber als auch der Gruppe untereinander. Die Studierenden bekamen einen Einblick in die Beschäftigung beider Hochschulen mit dem Lehrgegenstand Schlesien. Nach einer thematischen Einführung hatten sie die Gelegenheit, das Haus im Rahmen einer Rallye zu erkunden und die neu konzipierte multimediale Dauerausstellung kennenzulernen. Anschließend konnten eigene Forschungsprojekte mit den Beständen der hauseigenen Bibliothek verfolgt werden.
Am zweiten Tag fuhr die Gruppe nach Brüssel, wo das Büro des Europaabgeordneten Axel Voss eine Führung durch das Europäische Parlament organisiert hatte. Nach der Besichtigung und Erklärung der Arbeitsweise des Parlamentes standen die beiden Mitarbeiter bei einer Fragerunde den Studierenden Rede und Antwort. Anschließend war noch Zeit für Sightseeing und den Einkauf echter belgischer Trüffel. Am nächsten Morgen ging es zum Haus der Europäischen Geschichte, dessen Dauerausstellung sich mit dem Entstehen von Europa und der Entwicklung einer europäischen Identität befasst. Dabei werden historische, soziale und politische Themenfelder in einer beeindruckenden Darstellung verwoben, von den ersten Anfängen bis zur heutigen Zeit. Die Studierenden setzten sich kritisch mit den erinnerungskulturellen Aspekten der Ausstellung auseinander. Auf der Rückreise legte die Gruppe noch einen Zwischenstopp in der Europastadt Aachen ein, wo zwei studentische Stadtführer den Bonnern und Breslauern die Stadt zeigten und über das Aachener Studentenleben erzählten. Nach einem gemeinsamen Kaffee ging es zurück nach Königswinter.
Der nächste Tag startete mit einem Impulsvortrag von Dr. Christoph Studt über den Kreisauer Kreis und seine Zukunftsvisionen für Polen und Europa nach der Überwindung des Nationalsozialismus. Er stellte dabei die Strukturen und Zielvorstellungen dieser zivilen Widerstandsgruppe um Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg vor. Dr. Mariusz Dzieweczyński referierte am Mittag über den Streit um die Benennung der Breslauer Jahrhundert- bzw. Volkshalle. Hier wurde deutlich, dass schon allein ein Name unterschiedliche erinnerungskulturelle Aspekte ansprechen kann. Am Nachmittag ging es zum Haus der Geschichte in Bonn, das seit Jahren ein erprobter Pflichtprogrammpunkt der Studienseminare im HAUS SCHLESIEN ist. Dabei lernten die Studierenden etwas über die Erinnerungskultur der Bundesrepublik und über ihr Selbstverständnis nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Tag wurde abgerundet durch den Vortrag von Prof. Dr. Matthias Weber über die polnische Herrscherdynastie der Piasten, die mit Boleslaw dem Tapferen den ersten polnischen König stellte, und ihre europäischen Verflechtungen. Weber stellte deren erinnerungskulturellen Bezüge für Deutschland, Polen und Frankreich heraus. Am letzten Tag ging es dann zum Kölner Dom, der Ruhstätte der ersten polnischen Königin Richeza. Diese hatte den Piastenherzog Mieszko II. geheiratet, den Sohn Boleslaws des Tapferen, der bereits kurz nach der Krönung verstorben war. An diesem Beispiel wird deutlich, dass gerade die Herrscherdynastien transnationale Verflechtungen bildeten, die sich den seit dem 19. Jahrhundert entstandenen nationalen Geschichtsdeutungen entziehen. Am Nachmittag referierte Dr. Edyta Gorząd-Biskup über die Rolle der katholischen Kirche im Prozess deutsch-polnischen Versöhnung der letzten Jahrzehnte.
Bei der Abschlussdiskussion wurde deutlich, dass Veranstaltungen wie diese in bedeutender Weise zur Verständigung sowie zum Austausch auf bilateraler Ebene beitragen – das bestätigten die positiven Resümees der Studierenden einstimmig.
Florian Paprotny
Studentenseminare 2021

Universität Breslau – Historisches Institut: Bericht zum Seminar vom 21.11. bis 27.11.2021
Nach einer pandemiebedingten Pause von fast zwei Jahren fand in der Woche vom 21. bis zum 27. November 2021 wieder ein langersehntes Seminar aus der Reihe „Schlesische Begegnungen“ im HAUS SCHLESIEN statt. Zu Gast war eine gemischte Gruppe der Universität Breslau/Wrocław und anderer befreundeter Institutionen, unter Leitung des Historikers Prof. Tomasz Przerwa.
Der erste Tag diente dem Kennenlernen des HAUS SCHLESIEN: nach einem Einführungsvortrag der Leiterin des Dokumentations- und Informationszentrums, Nicola Remig, besichtigte die Gruppe die Räumlichkeiten sowie das Gelände des Anwesens und erhielt Einblicke in die Geschichte des Vereins und sein grenzübergreifendes Tätigkeitsspektrum. Von der hauseigenen Bibliothek wurde fortan täglich Gebrauch gemacht, bis in die späten Abendstunden hinein. Die Bestände des Archivs wurden ebenfalls genutzt – vor allem die dort zahlreich vorhandenen Erlebnisberichte der deutschen Vertriebenen.
Ab dem zweiten Tag begannen die Exkursionen, deren Ziel es war, der polnischen Gruppe das Nachbarland Deutschland und seine Geschichte(n) näher zu bringen. Ein wesentlicher Teil der verständigungspolitischen Arbeit ist das gegenseitige Kennenlernen sowie Einblicke in diverse kulturelle und politische Entwicklungen. Während eines spontanen Ausflugs zum Drachenfels wurde den Teilnehmern die Nibelungensage erzählt und auf deren propagandistischen Missbrauch während der beiden Weltkriege eingegangen (die von Kaiser Wilhelm II. beschworene „Nibelungentreue“ Deutschlands zu Österreich und später Hermann Görings Rede über den Kampf in Stalingrad, in der er eine Analogie zum Endkampf in der brennenden Halle am Ende der Nibelungensage zog). Es wurde deutlich gemacht, wie ein kulturelles Werk nationalistisch aufgeladen und zur Manipulation der Menschen genutzt werden kann. Anschließend ging es nach Bonn, wo im Rahmen einer Führung durch Frau Dr. Inge Steinsträßer über den Alten Friedhof die Vielzahl an prominenten Personen, die dort begraben liegen, vorgestellt und in Bezug zur deutschen und europäischen Geschichte gesetzt wurde, so z.B. Robert Schumann, Ernst Moritz Arndt oder die Mutter von Ludwig van Beethoven. Ferner wurde thematisiert, dass sich auf dem Friedhof sowohl ein Denkmal für die französischen als auch eines für die deutschen Gefallenen befindet. Sogar ein irisches Grab befindet sich dort, erkennbar an dem charakteristischen Keltenkreuz. Der Friedhof steht somit für ein Zusammentreffen von verschiedenen Kulturen: Schon 1870/71 wurde nach dem deutsch-französischen Krieg ein Gefallenendenkmal mit der Inschrift errichtet, dass es nie wieder Krieg geben möge – ein Wunsch, der sich leider nicht erfüllte.
Zum Pflichtprogramm gehört immer der Besuch des Kölner Doms, der am dritten Tag absolviert wurde. Vielen ist nicht bewusst, dass im Dom die erste polnische Königin begraben liegt, Richeza von Lothringen. Sie war eine Nichte Kaiser Ottos III. und verheiratet mit dem polnischen König Mieszko II. (dieser war bereits der zweite König von Polen, sein Vater und Vorgänger Bolesław der Tapfere war bei der Krönung bereits verwitwet und verstarb kurz darauf). Anhand dieses Beispiels lässt sich die enge Verbindung von Deutschen und Polen im mittelalterlichen Europa darstellen und zwar schon ab der Geburtsstunde des Königreichs Polen. Im 20. Jahrhundert konzentrierte sich die Geschichtsschreibung beider Länder vor allem auf die Gegensätze: Die Geschichte von multiethnischen Gebieten wie Schlesien wurde oft ignoriert und stattdessen versucht zu beweisen, dass das Land der jeweils eigenen Seite gehöre – die deutsch-polnische Geschichte wirkte aus dieser Perspektive wie ein jahrhundertelang andauernder Kampf um das Grenzland. Ein Paradigmenwechsel setzte erst ab den 1990ern ein, weshalb dieser Gegensatz teilweise bis heute nachwirkt – daher ist es von enormer Bedeutung, an verbindende Persönlichkeiten zu erinnern. Auch das Schloss Augustusburg in Brühl wurde an diesem Tag besucht, die Residenz des Clemens August von Bayern. Dessen Mutter war die Tochter des polnischen Königs Johann Sobieski III. – ein weiteres Beispiel der Verwobenheit der deutsch-polnischen Geschichte.
Am vierten Tag wurde die Martin-Opitz-Bibliothek in Herne besucht. Der thematische Sammelschwerpunkt der Institution umfasst die deutsche Geschichte und Kultur im Osten Europas. Nach einem ausführlichen Vortrag zum grenzübergreifenden Tätigkeitsspektrum der Institution unter dem Zeichen der Völkerverständigung bestand auch hier die Möglichkeit zur Recherche, die voll ausgeschöpft wurde. Die Teilnehmer hatten schon im Vorfeld hunderte Bücher und Quellen zur Einsicht bestellt.
Am fünften Tag wurde die Woche noch einmal rekapituliert. Die Teilnehmer äußerten sich ausnahmslos positiv und waren dankbar für die umfangreichen Einblicke, Diskussionen, Recherchemöglichkeiten und das mannigfaltige Programm. Sie hätten in der Woche viel Neues über ihr Nachbarland gelernt und auch die eine oder andere Überraschung erlebt. Es wurde deutlich, wie wichtig ein Austausch zwischen Deutschen und Polen ist, da die politische Situation sich in den letzten Jahren deutlich verkompliziert hat.
Die interkulturelle Ausrichtung und das abgestimmte Programm machen die „Schlesischen Begegnungen“ zu einem einmaligen Ereignis – der Abschied löst selbst nach der kurzen Zeit immer ein wenig Wehmut aus. Einer der Teilnehmer verabschiedete sich vom Betreuer der Gruppe mit den Worten: „Sie waren die Seele dieser Fahrt“ – ein Kompliment und Dank für unsere Arbeit, wie es schöner nicht möglich ist.
Florian Paprotny
Studienwoche "Sinnliche Zugänge" 2020
Trinationale Begegnungen
Ein Bericht über die Studienwoche „Sinnliche Zugänge zu symbolischen Orten Vertriebener in Deutschland“ zur ethnografischen Erforschung der Bildungsstätten HAUS SCHLESIEN und Heiligenhof (04. – 11.01.2020) aus der Sicht der polnischen Teilnehmerin Ewa Biolik
Direkt zu Beginn des Jahres 2020, vom 4. bis 11. Januar 2020, fand im Heiligenhof (Bad Kissingen) und im HAUS SCHLESIEN (Königswinter) eine Studienwoche zum Thema „Sinnliche Zugänge zu symbolischen Orten Vertriebener in Deutschland“ statt. Sie wurde von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz organisiert und durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Rahmen ihres Förderprogramms „Vielstimmige Erinnerung – gemeinsames Erbe – europäische Zukunft: Kultur und Geschichte der Deutschen und ihrer Nachbarn im östlichen Europa“ und den Schroubek Fonds Östliches Europa finanziell unterstützt. An der Woche nahmen 19 Studierende der Kulturanthropologie der Universität Mainz, fünf Studierende verschiedener Fachrichtungen aus Tschechien und fünf Germanistikstudierende aus Polen teil. Alles wurde hervorragend von Frau Jun.-Prof. Dr. Sarah Scholl-Schneider und Frau Dr. Johanne Lefeldt von der Mainzer Universität organisiert und geleitet.
Das Ziel dieser Woche war es, den Studierenden die Geschichte und Kultur der Vertriebenen aus den ehemals deutschen oder deutschsprachigen Gebieten, die heute den östlichen Nachbarn Deutschlands angehören, näherzubringen und auf die Bedeutung der zwei Häuser als Bildungs- und Begegnungsstätten in der Vergangenheit, Gegenwart und für die Zukunft aufmerksam zu machen. Vor allem, weil eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Art von den Vertriebenen selbst geschaffenen Orten bislang weitestgehend aussteht, war ein sehr offenes ethnografisches Vorgehen vorgesehen. Bei diesem sollten die Studierenden Erfahrungen mit Methoden der Feldforschung sammeln und gleichzeitig eine Vielzahl von Quellen erheben, aufbereiten und in ersten Schritten analysieren. Die Studienwoche bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil begann am Samstag, 4. Januar 2020 im Heiligenhof, an einem Ort, der an die ehemals deutschsprachigen Gebiete in der Tschechischen Republik erinnern soll und den sogenannten Sudetendeutschen nahe am Herzen liegt, und dauerte bis zum Mittwoch, 8. Januar 2020. Der Heiligenhof wurde 1952 als „Sudetendeutsche Heimstätte europäischer Jugend“ errichtet, diente als Ausbildungsort für Jugendleiter und politische Bildungsstätte. Heute ist das ehemalige Landhaus im Ortsteil Garitz von Bad Kissingen nicht nur Begegnungsstätte Sudetendeutscher und zwischen Deutschen und ihren östlichen Nachbarn, sondern lädt als Jugendherberge auch Besucher ohne Bezug zu der Geschichte des Hauses ein. Vom Heiligenhof ging es per Bustransfer zum zweiten Teil der Studienwoche, der vom Mittwoch, 08. Januar bis zum Samstag, 11. Januar 2020 im HAUS SCHLESIEN stattfand. Dieses Haus wurde durch den Erwerb eines ehemaligen Fronhofs in Heisterbacherrott durch den Verein HAUS SCHLESIEN e.V. 1978 mit dem Ziel gegründet, eine Begegnungsstätte für die vertriebenen Schlesier und deren Vereinigungen einzurichten. HAUS SCHLESIEN wird durch einen integrierten Hotelbetrieb ebenso wie der Heiligenhof aber auch von Touristen ohne Bezug zu Schlesien aufgesucht.
Ich entschied mich für die Teilnahme an der Studienwoche, weil ich unbedingt das HAUS SCHLESIEN kennenlernen wollte und ich war neugierig, wie die Erinnerungskultur an Schlesien in Deutschland gepflegt wird. Ich war auch interessiert, womit sich die Kulturanthropologie befasst und wie ethnografische Forschungsmethoden aussehen. Außerdem wusste ich, dass eine Reise, an der auch deutsche und tschechische Studierende teilnehmen, eine gute Gelegenheit wird, Meinungen und Erfahrungen auszutauschen und die Fremdsprachenkenntnisse zu trainieren.
Während der Woche beschäftigten wir uns zunächst mit den historischen Hintergründen der Häuser und lernten verschiedene methodische Zugänge ethnografischen Forschens kennen. Am Anfang konnten wir in die Thematik der Heimatvertriebenen, Flüchtlinge und ihres Heimwehs eintauchen, indem wir Vorträge von Dr. Tobias Weger und Dr. Elisabeth Fendl hörten. Am zweiten Tag unseres Aufenthaltes in Bad Kissingen gab uns Gustav Binder, der Studienleiter im Heiligenhof, eine Führung durch das Gebäude und die Umgebung, womit wir forschungspraktisch gesprochen bereits ein erstes bewegtes Interview im Feld erlebten und dokumentierten.
Der nächste Schritt war das theoretische Kennenlernen und praktische Ausprobieren verschiedener weiterer Forschungsmethoden und wie man mit dem erhobenen Material umgehen soll. Von Ingrid Sauer, M.A., Sudetendeutsches Archiv im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München, erfuhren wir, welches Material vom Heiligenhof bereits archiviert und der Institution übergeben wurde. Wir forschten rund um den Heiligenhof und über die Leute, die mit dem Haus verbunden sind oder waren. Jede/r konnte sich damit befassen, was sie/ihn am meisten interessierte. Eine Gruppe von Forschenden, die aus Mitgliedern sowohl aus Deutschland als auch aus Tschechien und aus Polen bestand, arbeitete in einem Treppenhaus, das ein besonderer Platz in dem Gebäude des Heiligenhofs ist, da es sehr viele Gegenstände beherbergt, die an das Sudetenland und die Sudetendeutschen erinnern. Die Gruppe nahm Fotos auf, beschrieb und katalogisierte alle Bilder, Landkarten und Erinnerungsstücke, die an den Wänden des Treppenhauses hingen. Es war eine mühsame Aufgabe, das Treppenhaus wurde aber zum ersten Mal so sorgfältig inventarisiert. In derselben Zeit unseres Aufenthaltes im Heiligenhof fand eine Werkwoche statt, deren Mitglieder sich schon jahrelang dort zum Handarbeiten treffen. Dies stellte für uns eine gute Forschungsgelegenheit dar, weil manche von dieser Gruppe aus dem Sudetenland stammten und Zeitzeugen der Vertreibung waren. Einige von uns gingen auch in das Stadtzentrum und befragten Bewohner Bad Kissingens, was sie vom Heiligenhof wissen. Erstaunlicherweise wussten ganz wenige etwas von der Begegnungsstätte und von der Thematik, mit der sie verbunden ist. Am vorletzten Tag im Heiligenhof präsentierten wir im Plenum, was wir gesammelt und erfahren hatten.
Ähnliche Aufgaben erwarteten uns im HAUS SCHLESIEN. Man kann aber sagen, dass dort unsere Arbeit ganz anders aussah, weil es in diesem Haus unvergleichbar mehr Gegenstände und Ideen zum Forschen gab. Bevor wir uns jedoch an die Arbeit machten, begrüßte uns Nicola Remig, die Leiterin des Dokumentations- und Informationszentrums im HAUS SCHLESIEN. Sie erzählte uns viel von der Geschichte des Hauses, wie es sich entwickelt hatte und welche Pläne es für seine Zukunft gibt. Wir lernten die ganze Umgebung des Hauses kennen und wurden durch das Museum geführt, wo die komplizierte Geschichte Schlesiens und verschiedene Ausstellungsstücke dar- und ausgestellt sind. Als Vorbereitung zu unserer Forschungsarbeit hielt die Bonner Musikwissenschaftlerin Annelie Kürsten einen Vortrag über auditive Erinnerungsorte und wie man dank der sinnlichen Technik des Zuhörens forschen kann. In den nächsten zwei Tagen tauchten wir in das Museum, Archiv oder in die Bibliothek ein und schauten uns das Haus und seine Umgebung genauer an. Wir machten Recherchen, führten Interviews, untersuchten Gästebücher und nahmen Fotos und Videos, sowie, angeregt durch den Vortrag, auch Klänge auf. Im HAUS SCHLESIEN hatten wir auch die Möglichkeit, die schlesischen kulinarischen Spezialitäten zu probieren.
Gemeinsam mit zwei anderen Teilnehmenden aus Polen fragte ich mich, was die Menschen in der Umgebung von HAUS SCHLESIEN über diese Begegnungsstätte wissen. Wir fuhren nach Niederdollendorf und Königswinter und befragten Passantinnen und Passanten. Es war nicht immer einfach. Wir mussten unsere Hemmungen überwinden, und es war für uns eine ganz neue Erfahrung. Es überraschte uns aber wie ergebnisreich diese Forschungsmethode sein kann. Aus den Gesprächen konnten wir festhalten, dass das Haus fast jedem bekannt ist und die Mehrheit unserer Befragten mindestens einmal dort war und diese Begegnungsstätte positiv einschätzt. Unter anderen trafen wir drei Männer, die alte Freunde waren und sich seit Jahren regelmäßig treffen. Sie stammen aus den ehemaligen deutschen Gebieten Sudetenland, Ostpreußen und Schlesien. Sie erzählten uns ein wenig aus ihrem Leben und woran sie sich noch erinnern können, wenn es um die Vertreibung geht. Ich muss sagen, dass das Interviewen für uns unglaublich erlebnisreich war.
Am letzten Abend der Studienwoche gab es eine öffentliche Podiumsdiskussion, die die beiden Häuser als Erinnerungsstätten und die Aussichten für ihre Zukunft in den Mittelpunkt stellte. Zum Gespräch wurden Vertreter des Heiligenhofs, Hans Knapek und Gustav Binder, und vom HAUS SCHLESIEN, Prof. Dr. Michael Pietsch und Nicola Remig, eingeladen. Tschechien repräsentierte die Ethnologin Mgr. Jana Nosková Ph.D., und ich selbst hatte die Ehre, Polen zu vertreten. Die Diskussion wurde von Daniel Kraft von der Bundeszentrale für politische Bildung geleitet, der mit beiden Häusern sowie dem Thema von Bildungsarbeit bestens vertraut ist. An Podiumsdiskussionen hatte ich bisher immer nur als Zuhörerin teilgenommen, weshalb ich ein wenig Angst vor der Veranstaltung hatte. Dass ich aber aus Schlesien, aus Katowice, komme, trieb mich an, an der Diskussion als junge Stimme des heutigen Schlesiens teilzunehmen. Schließlich ist Schlesien nicht nur eine Heimat der deutschen Vertriebenen, sondern ist auch die Heimat aller, die heutzutage dort leben. Es ist sehr wichtig, dass die Menschen, die in der Gegenwart in Schlesien wohnen, die Geschichte ihrer Region besser kennenlernen und dass die deutschen Vertriebenen und ihre Nachkommen in Deutschland das heutige Schlesien kennen- und respektieren lernen.
Das Resultat unserer Erhebungen während der Studienwoche ist mit Sicherheit der Gewinn wertvollen Materials zu weiteren Arbeiten. Jeder Schritt im Prozess wurde sorgfältig protokolliert, aufbereitet und archiviert. Einige der geführten Interviews wurden direkt transkribiert. Damit wir und auch andere in der Zukunft einen Nutzen von den digitalisierten Forschungsdaten haben, hatte Maria Adam, M.A. von der Universität Mainz ein Lern-Management-System eingerichtet, in dem wir kommunizieren und archivieren konnten.
Die Studienwoche war sicherlich für alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen spannend. Für mich war die Woche ein Austausch von Kulturen, Meinungen, Erfahrungen und das Kennenlernen ganz anderer wissenschaftlicher Felder, mit denen ich mich bisher nicht beschäftigt hatte. Zusätzlich, vor allem im HAUS SCHLESIEN, war es eine wundervolle Reise in meine kleine Heimat Schlesien, die hier aber aus einer anderen als meiner eigenen Perspektive gesehen und dargestellt ist. Ich finde es ganz wichtig, dass alle, vor allem junge Menschen die Geschichte kennen lernen und sie mit der heutigen Zeit verknüpfen können.
Ewa Biolik, Studentin der Germanistik an der Schlesischen Universität in Katowice, Polen
Academia Silesia 2019
Academia Silesia
Junge Multiplikatoren im deutsch-polnischen Dialog
Den Kulturraum Schlesien im Rahmen gegenwärtiger, europäisch fokussierter Erinnerungsdebatten zu situieren war das Ziel der akademischen Veranstaltung “Academia Silesia”, einer vom 8. bis zum 14. Dezember 2019 in HAUS SCHLESIEN stattfindenden, vom Bundesinnenministerium und der Kulturreferentin für Schlesien, Agnieszka Bormann, finanzierten Studienwoche für polnische und deutsche Studierende aus Breslau und Bonn. Sie bot jungen Menschen beider Nationen eine passende Gelegenheit am Identitäts- und Erinnerungsdiskurs mit den Eckpunkten “Schlesien” und “Europa” aktiv teilzunehmen. Die drei beteiligten Institutionen aus Königswinter, Bonn und Breslau setzen sich seit vielen Jahren, primär u.a. die Ausbildung von Multiplikatoren, für den internationalen, grenzüberschreitenden, vor allem deutsch-polnischen Dialog zum Ziel.
Die binationale Gruppe bestand aus polnischen Germanistikstudenten der Universität Wrocław und deutschen Geschichtsstudenten der Universität Bonn, eine Konstellation, die einen spannenden Erfahrungsaustausch interdisziplinären Charakters zwischen Studierenden zweier unterschiedlicher geisteswissenschaftlicher Fachrichtungen versprach. Neben der schlesischen Kulturgeschichte standen die deutsch-polnischen Beziehungen sowie das gemeinsame Kulturerbe Europas im Mittelpunkt des höchst abwechslungsreichen Programms.
Am ersten Veranstaltungstag haben sich die Organisatoren und Teilnehmer der “Academia” vorgestellt. Die Gastgeber, der Präsident des Vereins HAUS SCHLESIEN, Prof. Michael Pietsch sowie Nicola Remig, Leiterin des Dokumentations- und Informationszentrums, machten die Zuhörer mit HAUS SCHLESIEN als Lern- und Bildungsort für junge Polen, Deutsche und Tschechen bekannt. Das Haus vermittelt in Form von Tagungen, Ausstellungen und Vorträgen Wissen über die Region Schlesien und arbeitet regelmäßig mit Hochschulinstitutionen aus dem In- und Ausland zusammen. Dr. Christoph Studt vom Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn und Prof. Marek Hałub, Inhaber des Lehrstuhls für Kultur der deutschsprachigen Länder und Schlesiens am Institut für Germanistik in Breslau und Ideengeber der “Academia”, stellten Schlesien als Forschungs- und Lerngegenstand an ihren Institutionen vor. Dr. Studt, der sich selbst als „von Nirgendwo“ bezeichnete, skizzierte dabei, wie man vom erwähnten Nirgendwo über das Rheinland bis nach Schlesien kommt und schilderte Exkursionen seiner Studentengruppen, die er seit Jahren dorthin organisiert. Prof. Hałub stellte Schlesien als einen immanenten Teil der Forschung und Lehre am Lehrstuhl für Kultur der deutschsprachigen Länder und Schlesiens am Institut für Germanistik der Universität Wrocław vor. Die Schlesienforschung am Institut besitzt eine über 200 Jahre alte Tradition, hier waren Mitbegründer der schlesischen Kulturgeschichte wie Johann Gustav Gottlieb Büsching und Hoffmann von Fallersleben tätig, hier erlebt die Barockforschung ihren absoluten Höhepunkt. Diese Tradition wird am Lehrstuhl weitergeführt, von der Bedeutung des Kulturraums Schlesien für die heutige Germanistik in Breslau zeugen wissenschaftliche Tagungen, Seminare, Workshops und mehrere Publikationen, wie die von Prof. Marek Hałub und Prof. Anna Mańko Matysiak ins Leben gerufene wissenschaftliche Reihe „Śląska Republika Uczonych / Schlesische Gelehrtenrepublik / Slezská vědecká obec“, in der sich internationale Wissenschaftler mit mannigfaltigen Aspekten aus der schlesischen Kulturgeschichte auseinandersetzen.
Am Abend referierte der Direktor des Instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Prof. Matthias Weber, über Geschichtsdebatten zwischen Polen und Deutschland seit 1989. Aufschlussreich thematisierte er u.a. Debatten um den umstrittenen Film „Unsere Mütter, unsere Väter“, das Zentrum gegen Vertreibungen und das Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität. Insbesondere für junge Multiplikatoren in den deutsch-polnischen Beziehungen war der Abendvortrag absolutes Pflichtprogramm. Dass der Vortrag Wirkung zeigte, bewies die anschließende, sehr rege Diskussion.
Am zweiten Tag stand der Höhepunkt der Woche an, eine Bildungsreise nach Brüssel. Nach rund dreistündiger Fahrt erreichte die Gruppe ihr erstes Ziel, das Europäische Parlament. Die Seminarteilnehmer bekamen die Chance, einen unmittelbaren Eindruck von den Arbeitsbereichen und der Funktionsweise des Europäischen Parlaments zu bekommen. Ein Gespräch mit Martin Kamp, Generalsekretär der EVP-Fraktion im Europaparlament und Sohn vertriebener Eltern aus Breslau und Karlsbad, fungierte als Einführung in die Materie. Es entwickelte sich eine spannende Fragerunde mit einem europäischen Politiker, der auch kritische Fragen souverän und selbstkritisch beantwortete. Die Studierenden zeigten Interesse an der Entwicklung der gegenwärtigen Tendenzen innerhalb der Europäischen Union, fragten nach der Zusammenarbeit zwischen den europafreundlichen und europaskeptischen Fraktionen im Parlament oder dem Sinn des umstrittenen doppelten Standorts des Parlaments in Brüssel und Straßburg, der im Kontext der EU-weit geführten Diskussion um den Klimawandel als überholt erscheint. Das danach folgende Gespräch mit dem Mitarbeiter des Europaabgeordneten Axel Voss erlaubte Einblicke in das Abgeordnetenleben und die damit einhergehenden Herausforderungen. Obwohl es an dem Tag leider keine Sitzung gab, durfte der Besuch des Plenarsaals natürlich nicht fehlen. Ein Highlight war der folgende Besuch des „Hauses der Europäischen Geschichte“, der den Studierenden die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit einer kontrovers beurteilten Ausstellung zur Geschichte Europas eröffnete. Die Geschichte eines Kontinents im Rahmen einer Ausstellung aufzuarbeiten ist eine große Herausforderung, die allgemein geäußerte Kritik an der Ausstellung wurde von vielen der Seminarteilnehmer geteilt. Die Freizeit in Brüssel nutzten die Teilnehmer, um den sehr sehenswerten Marktplatz mitsamt seinem riesigen Tannenbaum zu besichtigen, erst nach Mitternacht kam man wieder im HAUS SCHLESIEN an.
Der Vormittag des dritten Tages, der wie der Vortag unter dem Motto „Identitäten im Diskurs: Europa“ stand, begann mit einem Impulsvortrag vom Betreuer der Bonner Gruppe, Dr. Christoph Studt, einem ausgewiesenen Kenner der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er verwies auf interessante Art auf die in den Planungen des Widerstandes verankerten Modelle für die Zukunft Europas und hob dabei den sog. “Kreisauer Kreis” um Helmut James von Moltke hervor, der mit Gleichgesinnten noch vor Kriegsende die Pläne einer Neuordnung Deutschlands und Europas nach dem Fall des “Dritten Reiches” schmiedete und dafür mit seinem Leben bezahlte.
Danach stellte der vielfach ausgezeichnete Breslauer Kardiochirurg Prof. Krzysztof Wronecki einen anderen Pionier seines Faches vor, den „großen Europäer in Breslau“ Jan Mikulicz Radecki (1850-1905) der in Wien, Krakau, Königsberg und der Hauptstadt Niederschlesiens wirkte und als einer der Begründer der modernen Chirurgie gilt. Mikulicz Radecki leistete Pionierarbeit auf vielen der heute eigenständigen Gebiete der Chirurgie und hat die Medizintechnik entscheidend bereichert – einige der heute allgemein bekannten Operationsinstrumente tragen seinen Namen. Es kann nicht bezweifelt werden, dass man sich in Breslau durch die Mikulicz Radecki-Straße gehend zukünftig stets an den Vortrag und deshalb gleich an beide Chirurgen erinnern wird.
Der Betreuer der Breslauer Gruppe und ausgewiesene Schlesienexperte Prof. Marek Hałub stellte in seinem Vortrag die identitätsstiftenden Erinnerungspotentiale Europas vor, u.a. am Beispiel des Hambacher Festes, einer demokratischen Kundgebung im Jahre 1832, an der auch polnische Bürger teilnahmen, die nach dem Novemberaufstand 1830 ihr Land verlassen mussten und im Zuge der allgemeinen „Polenbegeisterung“ als Vorkämpfer für die Freiheit in Europa galten. Prof. Hałub stellte darüber hinaus Schlesien als einen integralen europäischen Kulturraum vor, und zwar im Schnittfeld nicht nur von polnischer und deutscher, sondern auch von böhmischer, österreichischer und jüdischer Kultur.
Am Nachmittag folgte ein Besuch im “Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland” in Bonn. In der informativen Ausstellung wurden den Studierenden komplexe Zusammenhänge aus der Geschichte Deutschlands in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg anschaulich erklärt. In der Bundeszentrale für politische Bildung sammelten die Studierenden Materialien für ihre Bachelor- und Magisterarbeiten, in denen sie sich mit Themen aus der schlesischen Kulturgeschichte auseinandersetzen. Jeden Abend war die Bibliothek im HAUS SCHLESIEN prall gefüllt mit Nachwuchswissenschaftlern, denen der Mitarbeiter des Hauses Adam Wojtala bei Recherchen für ihre Arbeiten stets zur Seite stand.
Die nächsten zwei Tage standen unter dem Motto „Identitäten im Diskurs: Schlesien“. Zuerst standen Exkursionen nach Herne und Düsseldorf auf dem Programm. Besonders hervorzuheben ist der Besuch der “Martin-Opitz-Bibliothek” in Herne, einer Zentralbibliothek für die deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa, die einen signifikanten Bestand mit thematischem Bezug zu Schlesien beherbergt. Die Bibliothek verfolgt die Aufgabe, Quellen zur Kultur und Geschichte Schlesiens zu sammeln, zu erschließen und zu vermitteln, organisiert Vorlesungen, Ausstellungen und Workshops. Der stellvertretende Direktor, Dr. Arkadiusz Danszczyk, führte die Seminarteilnehmer durch die Bibliothek und stellte ihre vielfältigen Projekte vor, die die “Martin-Opitz-Bibliothek” in Kooperation mit internationalen Hochschuleinrichtungen und Institutionen durchführt. Unter den Nachlässen hob er die Bedeutung des Teilnachlasses der Briefe an Max Herrmann-Neiße hervor, der mit vielen hervorragenden Literaten und Publizisten seiner Zeit, wie Thomas Mann und Hermann Hesse, im brieflichen Kontakt stand. Die Studierenden bekamen nicht nur Einblicke in die Funktionsweise einer Spezialbibliothek, beeindruckend war die Präsentation von besonderen, einzigartigen und wertvollen Exemplaren aus den reichen Bibliotheksbeständen. Anschließend stattete man dem “Gerhart-Hauptmann-Haus” in Düsseldorf einen Besuch ab. Die Stiftung, im Sinne eines kulturellen Brückenbaus nach dem schlesischen Literaturnobelpreisträger benannt, setzt sich im Zuge der Osterweiterung der EU die Aufgabe der Bewahrung und Pflege des gemeinsamen historischen und kulturellen Erbes. Die Funktionsweise und den Ursprung der Institution bekamen die Seminarteilnehmer von Prof. Winfrid Halder anschaulich erklärt. Danach gab es genügend Zeit, um bei winterlichen Temperaturen den Rhein entlang zu spazieren.
Am Vormittag des nächsten Tages standen Impulsvorträge und Gespräche mit der Stadt Breslau im Mittelpunkt an. Die Hauptstadt Niederschlesiens stellt in der germanistischen Forschung und Lehre am Institut für Germanistik der Universität Wrocław einen wichtigen Schwerpunkt dar. Dr. Mariusz Dzieweczyński, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kultur der deutschsprachigen Länder und Schlesiens, der am Institut seit Jahren Seminare unter dem Motto „Breslau als europäisches Kulturphänomen“ leitet, zeichnete in Wort und Bild das Programm der Kulturhauptstadt Europas 2016 vor dem Hintergrund der Stadtgeschichte nach. Die Plattform, die der Titel “Kulturhauptstadt Europas” Breslau bot, hat man gekonnt für die Zurschaustellung der Umbrüche aus dem großen Fundus an geschichtlichen Narrativen genutzt. Auf dem Weg, ein europäischer Erinnerungsort zu werden, legte die Stadt Breslau seiner Meinung nach 2016 einen wichtigen Zwischenstopp ein.
Danach stellte die Breslauer Radiojournalistin und Schriftstellerin Joanna Mielewczyk ihr erfolgreiches Projekt “Kamienice/Breslauer Häuser” vor, Erzählungen von Breslauer Vor- und Nachkriegsbewohnern. Das Herzstück der Präsentation bildete dabei ein Interview mit einem der Protagonisten ihrer Bücher, Hubert Wolff, der 1931 im St. Josef-Krankenhaus auf der Dom-Insel in Breslau zur Welt gekommen war und Jahrzehnte später in Köln ein Breslau-Museum gründete.
Am Nachmittag folgte ein Meeting mit Hans-Jörg Neumann, dem Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Breslau. Gleich am Anfang kündigte er an, auf ein langes Gespräch vorbereitet zu sein, in dessen Verlauf die Studierenden Antworten auf brennende Fragen bekamen. Es entwickelte sich ein spannender und interessanter Austausch der eine große Themenspannweite abdeckte und zu einem der Höhepunkte der Woche avancierte. Der Generalkonsul konnte aus dem reichen Erfahrungsfundus seiner Diplomatenkarriere schöpfen, thematisierte neben schwierigen Verhandlungen und internationalem Krisenmanagement auch Felder wie Praktika im Konsulat, an denen junge Menschen großes Interesse zeigten.
Die Studienwoche wurde von einer öffentlichen Autorenlesung abgerundet. Eingeladen war der in Oppeln geborene, nach Bamberg ausgewanderte Autor Matthias Nawrat, der Passagen aus seinem Buch „Die vielen Tode unseres Opas Jurek“ vorlas, einer Art Schelmenroman, der die Familiengeschichte Nawrats vor dem Hintergrund der Geschichte Polens und Europas im 20. Jahrhundert erzählt. Kostproben von Nawrats spitzer Feder, sein Sinn für Humor und der gelungene Balanceakt zwischen Tragik und Komik ließen die Lesung zu einer interessanten und kurzweiligen Angelegenheit werden. In der folgenden, langen Fragerunde erfuhren die Gäste und die Studierenden, wie stark der Einfluss persönlicher Erfahrungen des Autors auf den Stoff war und wieviel echter Opa Jurek im „Opa Jurek“ steckt. Eine intensive Diskussion entwickelte sich rund um die von der Leserschaft kritisch beäugten Schilderungen des Protagonisten Opa Jurek aus dem KZ Auschwitz. Nicht nur aus philologischer Perspektive waren Fragen nach den Interferenzen zwischen der polnischen und der deutschen Sprache spannend – hätte Nawrat das Buch eigentlich auch auf Polnisch schreiben können? Die Gäste bekamen auch Einblicke in die Arbeitsweise eines erfolgreichen Romanautors. Lust auf die Lesung machte schon Tage vorher Dr. Christoph Studt, der Interessierten leidenschaftlich seine Lieblingspassagen aus dem Buch skizzierte. Als Matthias Nawrat während der Lesung nach einer bestimmten Stelle in seinem Buch gefragt kurz überlegen musste, welche Seite er nun aufschlagen solle, stand Dr. Studt auf und rief „Seite 102!“, womit er für eine Auflockerung der nachdenklich stimmenden Atmosphäre sorgte. Auch nach der Lesung gab es genügend Zeit, weitere Themenfelder in persönlichen Gesprächen aufzuschlagen.
Wie alle Themen der Woche hat dieser Abschlussabend wohl jedem Teilnehmer Antworten gegeben auf die heute immer wieder gestellte Identitätsfrage „Wer bin ich?“ und weckte fundierte Empathie für die Perspektive des Anderen im Rahmen eines europäisch ausgerichteten Verständnisses. Den Organisatoren der “Academia Silesia” gelang es im Rahmen der Studienwoche die mental maps der Studierenden über die jeweils nationale Perspektive der schlesischen Kulturgeschichte hinaus für ein vielgestaltiges, multiperspektivisches Bild Schlesiens und seines europäischen, plurikulturellen Erbes zu öffnen. Neben den Höhepunkten Brüssel, Herne und Düsseldorf waren Vorträge von ausgewiesenen Schlesienkennern und Gespräche mit namhaften Gästen weitere Eckpfeiler des sehr abwechslungsreichen Programms. Hervorzuheben ist die rege Teilnahme der Studierenden an allen Programmpunkten und den zahlreichen Diskussionen, sowie der ständige Erfahrungsaustausch in multinationalen Gruppen. Die “Academia” erreichte somit ihr zweites Ziel – junge Europäer aus Polen und Deutschland einander näher bringen. Eine Fortsetzung der Initiative wäre sehr wünschenswert!
Zum Abschluss sei eine der Teilnehmerinnen zitiert: „Die “Academia Silesia” war aus meiner Sicht ein sehr erfolgreiches Projekt mit einem sehr abwechslungsreichen und interessanten Programm, besonders hervorzuheben der Besuch in Brüssel und in der Martin-Opitz-Bibliothek in Herne, sowie die Freizeit in Brüssel, Bonn und Düsseldorf, die uns als polnisch-deutsche und deutsch-polnische Gruppe einander noch enger zusammengebracht hat. Hoffentlich bleibt der ein oder andere hergestellte Kontakt untereinander bestehen. Es wäre doch schön, wenn man in zehn Jahren auf die Frage, wo man sich kennengelernt habe, sagen könnte, man habe sich im HAUS SCHLESIEN bei der “Academia Silesia” erstmals getroffen.
Mariusz Dzieweczyński
TAGUNGEN

Den Kultur- und Bildungseinrichtungen in Deutschland und Polen kommt im Bereich der Verständigungsarbeit eine wichtige Rolle zu und gerade durch den binationalen Austausch kann der Blick für die sensiblen und spannungsreichen Aspekte in der deutsch-polnischen Geschichte geschärft werden. HAUS SCHLESIEN versucht hier mit seinen Tagungs- und Seminarangeboten einen Beitrag zu leisten.
OMA KOMMT AUS SCHLESIEN

OMA KOMMT AUS SCHLESIEN
Die Erinnerungen der Nachfahren
Ein Seminar für die Kinder und Enkel der Vertriebenen und alle Interessierten
21. – 22. Oktober im HAUS SCHLESIEN
Herkunftsgeschichten bewegen Familien – bis heute sind Fluchtschicksale dabei von großer Aktualität. Fragen nach Herkunft, Heimat und Identität sind jedoch selten eindeutig zu beantworten, besonders dann, wenn ein Teil der Vorfahren aus einer anderen Region kam. Mehr als 25 Prozent der Deutschen geben an, dass sie selbst oder ein Familienmitglied zu den deutschen Heimatvertriebenen zählen. Aufgewachsen mit den Geschichten „aus der Heimat“ oder auch nur mit einem undefinierbaren Gefühl, nicht hierher zu gehören: Viele Kinder und Enkel tragen an der Last der Erinnerungen und den Traumata der vertriebenen Vorfahren. Die Erfahrungen der Erlebnisgeneration haben ihre Spuren hinterlassen und prägen oft unbewusst bis heute ihr Leben und ihre Familien. Auch wenn sie bereits in der „neuen Heimat“ geboren wurden und keine eigenen Erinnerungen an Schlesien haben, übertrugen sich die Fluchterfahrungen und das Fremdheitsgefühl der Eltern auf die Nachkommen. Die aus der Erfahrung der Entwurzelung heraus entwickelten Verhaltensweisen und Ängste haben sich teilweise bis in die Enkelgeneration „vererbt“.
Das Seminar von HAUS SCHLESIEN und dem Kulturreferenten für Oberschlesien behandelt exemplarisch anhand der erzwungenen Fluchtsituation aus Schlesien Erfahrungen und Erkenntnisse zum Umgang mit Flucht und Vertreibung in den Familien. Einführende Fachvorträge von Wissenschaftlern und Autoren befassen sich mit ganz unterschiedlichen Aspekten und legen eine fundierte Grundlage für die jeweils anschließenden Gesprächsrunden, in denen die Teilnehmer die Thesen diskutieren und eigene Erfahrungen und Eindrücke austauschen können. Neben der Möglichkeit, anhand des vermittelten Wissens die Situation der Erlebnisgeneration aber auch die eigenen Erfahrungen nachvollziehen und einordnen zu können, soll vor allem der Austausch untereinander dazu beitragen, die individuelle Familiengeschichte aufzuarbeiten, sich mit den Gefühlen von Heimatlosigkeit auseinanderzusetzen und eigene Verhaltensmuster zu verstehen.
Weitere Informationen und Anmeldung unter: kultur@hausschlesien.de, Tel.: 02244/886231
Das Seminar ist offen für alle Interessierten. Die Anzahl der Teilnehmerplätze ist begrenzt.
Die Tagungspauschale (Übernachtung mit Frühstück, zwei Mahlzeiten, Kaffeepausen und Programm) beträgt 120 Euro, für Mitglieder des Vereins 110 Euro, ohne Übernachtung 75 Euro bzw. 65 Euro für Vereinsmitglieder (zwei Mahlzeiten, Kaffeepausen und Programm).


OMA KOMMT AUS SCHLESIEN – Das ‚Flaggschiff‘ der Seminarangebote von HAUS SCHLESIEN
Der Austausch mit anderen, das Kennenlernen der Lebenserfahrungen von Kindern und Enkeln der Vertriebenengeneration, ein besseres Verständnis der historischen Zusammenhänge – diese Aspekte nannten Teilnehmer/innen als Motive, sich auf das zweitägige Seminar „Oma kommt aus Schlesien“ im HAUS SCHLESIEN einzulassen. Gemessen an den positiven bis begeisterten Resümees zum Abschluss, konnte das Programm und die Atmosphäre der beiden Tage die Erwartungen der Gäste offenbar auch bei diesem bereits 5. Seminar erfüllen.
Einen hervorragenden historischen Einstieg bot wieder einmal mit vielen Fotos, Landkarten und anschaulichen Grafiken Prof. Dr. Winfrid Halder, Direktor der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf. Im „geschützten Raum“ der Gesprächsrunden wurden zudem wie jedes Jahr nach dem Vortrag des Kölner Arztes und Psychotherapeuten Prof. Dr. Bertram von der Stein persönliche und familiäre, oftmals schmerzliche Erfahrungen ausgetauscht. Vielfach erfährt die Kinder- und Enkelgeneration eine Wiederkehr des Verdrängten, gerade in Bezug auf Vertreibung und Heimatverlust. Ein Thema, das angesichts erneuter Fluchtbewegungen und Vertreibungen inmitten Europas wieder in besonderer Weise virulent wird.
Ein neuer Gast des Seminars war dieses Mal der bekannte Historiker und Autor Prof. Dr. Manfred Kittel aus Berlin, der sehr aufschlussreich über den Lastenausgleich, d.h. die staatlichen Unterstützungsleistungen ab Mitte der 1950er Jahre referierte. Viele Aspekte dieser Entschädigungszahlungen, die sowohl Heimatvertriebenen als auch kriegsgeschädigten Einheimischen zugutekamen, aber auch die Defizite bei der Gesetzgebung waren den allermeisten Zuhörern unbekannt. Die Integration der Millionen Vertriebenen war ein komplizierter Prozess, der nicht zuletzt durch ihren Anteil an den Erfolgen der ‚Wirtschaftswunderjahre‘ gemildert wurde.
Anschaulich wurde der Umgang der Familien mit dem Heimatverlust in der neuen Dauerausstellung im HAUS SCHLESIEN, die viele Anknüpfungspunkte und Informationen bietet und in die Zusammenhänge einordnet.
Die Journalistin Katja Mitic aus Berlin referierte auf der Grundlage der eigenen Familiengeschichte über „geerbtes Heimweh“, das sich in ihrer Biografie in besonderer Weise kristallisiert. Viele Teilnehmer konnten die Schwierigkeiten, ein „Zugehörigkeitsgefühl“ zu entwickeln, aus eigener Erfahrung gut nachvollziehen. Die Spurensuche in der Heimat der Großeltern ist ganz offenbar zunehmend ein Anliegen und kann nicht zuletzt auch durch die Informationsmöglichkeiten mittels Institutionen wie HAUS SCHLESIEN unterstützt werden.
Auch das 5. Seminar war erneut ausgebucht, und die Warteliste für den nächsten Termin am 21. und 22. Oktober 2023 füllt sich bereits. Das Bedürfnis, sich angesichts der furchtbaren Nachrichten zum Ukraine-Krieg und der unmittelbar in der eigenen Nachbarschaft erfahrbaren Flucht von Menschen aus den Kriegsgebieten mit den eigenen Prägungen aus der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen, ist offenbar größer denn je.
Nicola Remig
OPA LEBT IN OBERSCHLESIEN

Tagungsbericht: OPA LEBT IN OBERSCHLESIEN – zwischen regionaler Identität und Migrationsgesellschaft
Am 06. und 07. Mai fand bereits zum dritten Mal die Tagung „Opa lebt in (Ober-) Schlesien“ statt, die vom Dokumentations- und Informationszentrum ausgerichtet und aus den Mitteln des Kulturreferats für Oberschlesien finanziert wurde. Das zweitägige Seminar richtete sich hauptsächlich an die jüngere Generation der in Oberschlesien verwurzelten Aussiedler, die bereits in einem deutsch-polnischen Umfeld bzw. beiderseits der Grenze aufwuchsen. Den Teilnehmenden wurden interessante Vorträge und Präsentationen rund um die Themen „Identität“, „kulturelle Vielfalt“ und „Migration“ geboten.
Bereits im Vorfeld der Veranstaltung fand auf unserem Facebook-Kanal im Internet eine hitzige Diskussion darüber statt, ob es überhaupt zulässig sei, Heimatvertriebene, Flüchtlinge und (Spät-) Aussiedler als „Migranten“ zu bezeichnen, wobei die neutrale Bedeutung des Begriffs größtenteils ignoriert wurde. Über die unterschiedlichen Migrationsströme aus und nach Oberschlesien seit dem 19. Jahrhundert referierte eindrucksvoll und leicht verständlich der Historiker von der Ruhr-Universität in Bochum Dr. Andrzej Michalczyk. Er spannte den Bogen von der Auswanderungsbewegung nach Amerika oder in das Ruhrgebiet im 19. Jahrhundert über die Zwangsmigration der Deutschen nach 1945 bis zu den Aussiedler-Ausreisewellen in die Bundesrepublik der 1980er und 1990er Jahre.
Die meisten Aussiedlerinnen und Aussiedler mussten nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland diverse Integrationsschwierigkeiten überwinden, nicht selten die deutsche Sprache lernen und einen Zugang zur westdeutschen Gesellschaft finden. Eine enorme Erleichterung konnte dabei der Mannschafssport sein, vorzugsweise der Fußball, da durch die permanente Interaktion mit anderen Menschen der Integrationsprozess begünstigt werden konnte, worüber der Direktor des Oberschlesischen Landesmuseums Dr. David Skrabania im Rahmen einer interessanten Präsentation z.T. aus eigener Erfahrung berichtete.
Der erste Tag wurde durch eine Führung durch die Dauerausstellung abgerundet. Am Sonntag ging es mit einem Vortrag zu einem Ort weiter, der vielen aus Oberschlesien in die Bundesrepublik übergesiedelten Menschen vertraut sein dürfte, da ihr Aufenthalt in diesem Land sehr oft hier begann: in der Landesstelle für Aussiedler, Zuwanderer und ausländische Flüchtlinge in Unna-Massen. Dazu stellten die Mitarbeiterinnen der Firma „KulturWissenSchaffen“ (Unna), Dr. Tina Ebbing und Kathrin Göttker eine eindrucksvolle Präsentation über die Gründung, den Sinn und Zweck sowie die Entwicklung dieser Einrichtung bis in die Gegenwart vor.
Einen Überblick über die Entfaltung der Landsmannschaft der Oberschlesier in Ratingen und vor allem über ihre Entwicklung, Probleme, Chancen und Möglichkeiten, die diese Institution hauptsächlich der jüngeren Aussiedlergeneration bieten kann, sprach der Kulturreferent der LdO, Christoph Martin Labaj. Er verwies in seiner Präsentation auf vorhandene Generationskonflikte, aber auch auf die positiven Entwicklungen innerhalb der LdO und nannte auch zahlreiche Lösungsvorschläge.
Die Krönung der Veranstaltung bildete ein Gespräch mit dem Filmemacher Andrzej Klamt, der seinen spannenden Film „Die geteilte Klasse“ vorstellte. Er begibt sich in dieser spannenden Dokumentation auf die Suche nach seinen ehemaligen Klassenkameraden aus der Grundschulzeit in Beuthen/Oberschlesien und lässt sie selbst ihre Schicksale schildern, die sie u.a. nach Deutschland verschlagen haben. Die anderen blieben in Oberschlesien. Mit vielen der erzählten Geschichten konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr gut identifizieren, was das abschließende Gespräch belegte.
Trotz überschaubarer Teilnehmerzahl, war die Tagung ein Erfolg, da die Gäste sich in den Inhalten der Vorträge nicht selten wiederfanden, im Rahmen der anschließenden Diskussionen ihre eigenen Erfahrungen mitteilten und es letztendlich zu regen Diskussionen kam. Nicht zuletzt bildet der Erfahrungsaustausch den Sinn und Zweck einer gelungenen Tagung, wie diese.
Adam Wojtala
KANT FÜR EINSTEIGER

Tagungsbericht: Gut vorbereitet für`s Selbstdenken – Kant-Seminar im HAUS SCHLESIEN (27./28. April 2023)
Aus der Überlegung heraus, dass im kommenden Jahr 2024 – genauer: am 22. April – an den 300. Geburtstag des großen Philosophen Immanuel Kant (1724-1804) zu erinnern sein wird und dass es aus diesem Anlass sicherlich eine Fülle von Angeboten zu Kants Leben und Werk geben wird, wurde die Idee geboren, Kant-Interessierten schon jetzt einen „Einstieg“ zu ermöglichen. Die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus hat daher gemeinsam mit dem Dokumentations- und Informationszentrum im Haus Schlesien in Königswinter-Heisterbacherrott ein zweitägiges Seminar durchgeführt, das aus unterschiedlichen Perspektiven sowohl Kants Denken wie seine Biografie beleuchtet hat.
Zu Beginn entfaltete Prof. Dr. Hans-Ulrich Baumgarten, von Hause aus Philosoph und Kant-Experte, die Aktualität der Einsichten und Überlegungen eines vor drei Jahrhunderten geborenen Denkers für unsere Tage. Prof. Baumgarten, der auch als Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf wirkt, hatte sich eigens zu diesem Zweck vorübergehend von seinen hauptamtlichen Dienstaufgaben als Abteilungsleiter im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen freigemacht. Kant, der als einer der bedeutendsten Vertreter der Aufklärung gilt, hat, so verdeutlichte der Referent überaus anschaulich in seinem umfangreichen Schaffen Grundfragen der menschlichen Existenz in damals neuartiger, noch heute überaus erhellender Weise behandelt („Was kann ich wissen?“, „Was soll ich tun?“, „Was darf ich hoffen?“). Anknüpfend an sein Eröffnungsreferat konnte Prof. Baumgarten in seinem den ersten Seminartag beschließenden Abendvortrag vieles vertiefen. Insbesondere lenkte er den Blick darauf, dass Kants Denken, da es auch die elementaren Fragen von menschlicher (Handlungs-)Freiheit und damit Verantwortung berührt, und da es sich zudem der meist mit vielfachen Schwierigkeiten verbundenen Unterscheidung von Gut und Böse gestellt hat, eine Fülle von Anknüpfungspunkten gerade für das Miteinander in freiheitlich-pluralen Gesellschaften bietet.
Zwischenzeitlich hatten die Leiterin des Dokumentations- und Informationszentrum und Hausherrin Nicola Remig und Prof. Halder Kants Leben historisch und biografisch umrissen. Dabei wurden die weitreichenden sozialen und politischen Umbrüche erläutert, die Kants Umwelt in dessen acht Lebensjahrzehnten prägten – nicht zuletzt war er etwa Zeitgenosse der Amerikanischen und der Französischen Revolution (seit 1776 bzw. seit 1789). Auch Kants Heimatstadt, die alte ostpreußische Metropole Königsberg (heute Kaliningrad), die stets sein Lebensmittelpunkt blieb, wurde eingehend in den Blick genommen.
Den zweiten Seminartag eröffnete Prof. Dr. Matthias Weber. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, den weiten Weg aus dem Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa in Oldenburg zurückzulegen, um bilderreich darzulegen, wie sehr Kant als Person und Denker auch immer wieder moderne Künstlerinnen und Künstler zur Auseinandersetzung angeregt hat und anregt. Gewissermaßen nebenher konnte Prof. Weber so auch auf den kürzlich erschienenen, von ihm selbst mit herausgegebenem Band „Immanuel Kant 1724-2024. Ein europäischer Denker“ hinweisen. Dieser versammelt neueste Beiträge von zwei Dutzend Kant-Expertinnen und -Experten und ist bestens geeignet, allen Interessierten zahlreiche Anregungen und Kenntniserweiterungen zu vermitteln.
Prof. Oskar Gottlieb Blarr, ein ostpreußischer Landsmann und Kenner Kants, schloss mit einer anderen Perspektive auf das Thema „Kant und die Kunst“ an. Prof. Blarr, selbst Musiker und Komponist, vermochte dabei mit gewohnter Verve manche vordergründige Einschätzung zu Kants vermeintlich geringem oder nur oberflächlichem Interesse für die Musik und andere Künste gerade zu rücken. Auch der folgende Referent, Pfarrer i. R. Lorenz Grimoni, ist biografisch eng mit Immanuels Kant Heimatstadt und -region verbunden. Als früherer Leiter des Museums Stadt Königsberg in Duisburg hat sich Grimoni jahrzehntelang mit Kant beschäftigt und dabei eine der bedeutendsten musealen Sammlungen zu dessen Leben und Schaffen zusammengetragen. Lorenz Grimonis engeres Thema war Kants Verhältnis zur Religion, genauer: vor allem zum christlichen Glauben. Einleuchtend legte er dar, dass der Königsberger Aufklärungsphilosoph in Kindheit und Jugend eine streng kirchliche Erziehung erhalten hatte, die ihn zeit seines Lebens prägte, auch wenn der älter gewordene Kant selbst kein gläubiger Christ mehr war. Und den Respekt vor Jesus Christus als zentraler Persönlichkeit des christlichen Glaubens hat sich Kant immer bewahrt.
Dass Dr. Tim Kunze als letzter Referent auf Lorenz Grimoni folgte, hatte eine innere Logik. Denn als Kurator der im Aufbau befindlichen Kant-Abteilung im Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg ist er auch verantwortlich für die aus dem 2016 geschlossenen Museum Stadt Königsberg dorthin übertragene, einzigartig reichhaltige und wertvolle Kant-Sammlung. Herr Dr. Kunze vereinigt die Kompetenzen des promovierten Philosophen, mit denen eines bereits in verschiedenen Projekten erfahrenen Kurators. Sein lebendiger, reich illustrierter Vortrag ließ für das Publikum sehr klar hervortreten, wie künftig die museale und inhaltliche Gestaltung des Kant-Baus in Lüneburg ausfallen wird. Dort haben inzwischen die Bauarbeiten für den entsprechenden Anbau an das Ostpreußische Landesmuseum begonnen. Im Kant-Jubiläumsjahr 2024 soll dessen Eröffnung erfolgen; Herr Dr. Kunze hat zweifellos beim Publikum großes Interesse daran geweckt, diesen dann möglichst bald selbst sehen zu können. Wir wünschen allen Beteiligten in Lüneburg gutes Gelingen und rasches Vorankommen!
Die Tagung war sehr gut besucht – alle zur Verfügung stehenden Übernachtungsplätze im Haus Schlesien waren ausgebucht. Dazu kamen noch einige Tagesgäste, insgesamt also ein recht großes, sehr interessiertes, entschieden nachfragendes und mit diskutierendes Publikum.
Das Haus Schlesien hat sich einmal mehr als idealer Tagungsort erwiesen: Trotz seiner idyllischen Lage im Siebengebirge ist es sehr gut zu erreichen (der im 10- bzw. 20-Minutentakt fahrende Bus bringt Gäste vom Bahnhof Niederdollendorf in nicht einmal einer Viertelstunde direkt vor die Haustür oder besser vor das Tor zum schönen, kastaniengeschmückten Innenhof). Es bietet zudem nicht nur ruhige Zimmer und gutes Essen. Sondern zugleich fand das Publikum im vielfältigen Garten mit dem Standbild des großen Dichters Joseph von Eichendorff (1788-1857, auch ein Teil-Zeitgenosse Kants mithin) oder im nahen Wald passende Orte, um zwischenzeitlich Muße zu haben oder das Gehörte zu überdenken. Oder überhaupt das zu tun, wozu Kant immer anregen wollte: nämlich selbst zu denken.
Winfrid Halder

KULTUR AUF REISEN

Schlesien ist mit kulturellen und landschaftlichen Höhepunkten reich gesegnet. Städte wie Breslau, Neisse oder Hirschberg faszinieren durch ihre Geschichte, historischen Bauwerke und das moderne pulsierende Leben. Wallfahrtsorte, Schlösser, Herrenhäuser und Burgruinen laden jeden Reisenden zur Besichtigung ein. HAUS SCHLESIEN versucht, mit einem wechselnden Reiseangebot den zahlreichen Sehenswürdigkeiten von Schlesien gerecht zu werden.
Studienreise 2023
Projekt Europa – Christliches Erbe in Schlesien: Zisterzienser, Friedenskirchen, Geschichte, Landschaft und Kultur





Studienreise in Kooperation von HAUS SCHLESIEN, Königswinter, mit der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus Düsseldorf (GHH)
Leitung: Prof. Dr. Winfrid Halder, GHH Düsseldorf, Dr. Inge Steinsträßer, Bonn, Nicola Remig, HAUS SCHLESIEN, Dr. Katja Schlenker, GHH
Reiseagentur: INTERCONTACT Gesellschaft für Studien- und Begegnungsreisen mbH
Reisezeitraum: Sonntag, 11. Juni bis Sonntag, 18. Juni 2023
Seit mehr als einem Jahrtausend hat das Christentum Schlesien mitgeprägt. Mit der Gründung des Bistums Breslau im März des Jahres 1000 durch Kaiser Otto III. (980-1002) wird meist der Beginn der gezielten christlichen Missionierung des Landes beidseits der Oder datiert. Der Zuständigkeitsbereich des Oberhirten in der schon einige Jahrzehnte zuvor begründeten Stadt, die auch durch die Wahl zum Bischofssitz zur wichtigsten Metropole Schlesiens wurde, bildete seither eine Klammer, welche das Land jenseits wechselnder herrschaftlicher Zusammenhänge über Jahrhunderte verband. Seit 1051 kennen wir die Namen aller Breslauer Bischöfe (seit 1241 Fürstbischöfe, seit 1930 Erzbischöfe) bis heute, insgesamt weit über 70 an der Zahl. Im Jahre 1300 gab es innerhalb des Breslauer Bistums bereits 311 Orte mit eigenen Kirchen, es sollten noch viel mehr werden. Klar ist damit, dass es eine reichhaltige kirchliche (Bau-)Kultur gab – und gibt. Die ältesten Teile etwa des Breslauer Doms reichen bis in die Zeit der Bistumsgründung zurück.
Bald nach Beginn der Christianisierung wurden auch Ordensgemeinschaften in Schlesien präsent. Überragende Bedeutung erlangte dort, nicht zuletzt für den Landesausbau, der Zisterzienserorden. Diese im ausgehenden 11. Jahrhundert in Frankreich gegründete benediktinische Reformkongregation schuf binnen verhältnismäßig kurzer Zeit Niederlassungen in nahezu ganz Europa – das älteste Zisterzienserkloster in Schlesien Leubus/Lubiąż, direkt an der Oder gelegen, wurde 1175 gegründet. Die ersten Mönche, die dorthin entsandt worden waren, kamen aus dem Kloster Pforta, mithin aus der Nähe des heute zu Sachsen-Anhalt gehörenden Naumburg/Saale. Schon die Gründungsgeschichte verknüpft also die Geschichte der Zisterzienser in Schlesien mit deren Geschichte im heute deutschen Raum – und zugleich mit der Herkunftsregion der Zisterzienser im heutigen Frankreich. Denn das Kloster Pforta (1132) war eine Filialgründung von Kloster Walkenried, das, am südwestlichen Rand des Harzes (heute Niedersachsen) gelegen, seinerseits 1129 vom ältesten Zisterzienserkloster aus auf heute deutschem Boden gegründet worden, nämlich vom Kloster Kamp aus. Dieses ist 1123 – vor genau 900 Jahren also – in der Nähe des niederrheinischen Moers entstanden. Die ersten Mönche in Kamp aber kamen aus Morimond, 1115 als eine der fünf zisterziensischen Ursprungsabteien unweit des französischen Langres entstanden. Kloster Morimond aber hatte auch Filialgründungen im heutigen England, in Nordirland, in Italien, Spanien und Österreich – eine wahrhaft europäische Angelegenheit also.
Die Reise folgt also insbesondere den Spuren der Zisterzienser in Schlesien, dies zuerst, aber keineswegs ausschließlich in Leubus/Lubiąż, wo die einstige Klosteranlage eines der größten erhaltenen Barockgebäude in ganz Europa umschließt. Sie widmet sich aber auch anderen Orten und nicht zuletzt Persönlichkeiten des Christentums in Schlesien. So erreichte auch die reformatorische Bewegung frühzeitig das Land und wurde dort dauerhaft fruchtbar, sodass auch das evangelische Schlesien seit dem 16. Jahrhundert zahlreiche bedeutende Kulturzeugnisse und Persönlichkeiten hervorgebracht hat. Die schlesischen Friedenskirchen, errichtet nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648), als Schlesien unter der entschieden gegenreformatorisch eingestellten Herrschaft der katholischen Habsburgerdynastie stand, stellen einzigartige Beispiele des protestantischen Kirchenbaus dar. Breslau, dem am Ende der Reise besonders viel Zeit gewidmet wird, war jahrhundertelang Wirkungsstätte bedeutender Vertreterinnen und Vertreter der großen christlichen Konfessionen – beispielhaft seien an dieser Stelle nur der katholische Dichter Angelus Silesius (eigentlich Johannes Scheffler, 1624-1677) und sein evangelischer Zeitgenosse und Dichter-Kollege Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679) angeführt, der im „Hauptberuf“ nicht zuletzt zeitweilig als Breslauer Bürgermeister fungierte. Der gebürtige Breslauer Friedrich Schleiermacher (1768-1834) ist aus der Geschichte des deutschen Protestantismus im 19. Jahrhundert schwerlich wegzudenken. Bolesław Kominek (1903-1974), der erste katholische Breslauer Oberhirte nach 1945, hatte hohen Rang für die frühen Ansätze der polnisch-deutschen Versöhnung nach den Schrecken der brutalen deutschen Besatzungsherrschaft in Polen im Zweiten Weltkrieg. Und noch zahlreichen anderen Persönlichkeiten werden wir begegnen. Schließlich wird gerade in Breslau auch die ungemein wichtige und bedeutende Geschichte der jüdischen Gemeinde thematisiert, die mit den Gemeinden in Berlin und Frankfurt am Main lange Zeit eine führende Stellung im deutschen Judentum einnahm.
Gewissermaßen „nebenbei“ wird das versierte Begleit-Team viel schlesische Geschichte und Kulturgeschichte im Allgemeinen einfließen lassen.
Geplanter Programmablauf (Änderungen vorbehalten):
Sonntag, 11. Juni 2023
Anreise bis 17.00 Uhr im Haus Schlesien, Königswinter
18.00 Uhr Kleiner Imbiss, anschließend Einführung in das Thema „Die Zisterzienser in Schlesien und ihr kulturelles Erbe“ (Bildvortrag von Dr. Inge Steinsträßer)
Anschließend Abendessen und Übernachtung im HAUS SCHLESIEN
Montag, 12. Juni 2023
Frühe Abfahrt mit dem Reisebus. Kurzer Rundblick (in Abhängigkeit vom Fahrtverlauf) in Herrnhut, 1722 Gründungsort der evangelischen „Brüdergemeine“ (2016 mit der Bezeichnung „Reformationsstadt Europas“ ausgezeichnet). Weiterfahrt nach St. Marienthal bei Ostritz in der sächsischen Oberlausitz, unmittelbar an der Neiße gelegen, ältestes Zisterzienserinnenkloster in Deutschland, das seit seiner Gründung 1234 ununterbrochen besteht. Rundgang durch die kulturhistorisch bedeutende Klosteranlage. Evtl. Gespräch mit der Äbtissin Sr. Elisabeth Vaterrodt OCist.
Abendessen und Übernachtung im IBZ St. Marienthal.
Dienstag, 13. Juni 2023
Frühstück in St. Marienthal. Abreise nach Görlitz, einst bedeutender Handelsmittelpunkt an der Via Regia, einer der bedeutendsten mittelalterlichen Verkehrsverbindungen quer durch Europa von Santiago de Compostela nach Kiew (https://www.via-regia.org/=). Görlitz ist zugleich heute deutsch-polnische Grenzstadt an der Neiße, mit bemerkenswerter historischer Altstadt (Spätgotik-, Renaissance-, Barock-Bürgerhäuser). Stadtführung, einschließlich des ehemaligen Wohnhauses des christlichen Philosophen und evangelischen Mystikers Jakob Böhme (1575-1624). Individuelle Mittagspause.
Weiterfahrt nach Liegnitz/Legnica), erwähnt erstmals 1004, wichtiger Residenzort der schlesischen Linie der Piasten-Dynastie unter Herzog Boleslaw I. (1127-1201) und seinem Sohn Heinrich I. (um 1165-1238) – den späteren Gründern und Förderern der Zisterzienserabtei Leubus. Führung durch die historische Altstadt
Abendessen und Übernachtung in Liegnitz (Hotel Sekowski)
Mittwoch, 14. Juni 2023
Frühstück im Hotel. Fahrt nach Leubus/Lubiąż. Ältestes der schlesischen Zisterzienserklöster mit jahrhundertelanger, großer Bedeutung für Besiedlung und Erschließung der ganzen Region, Musterbeispiel für die enorme kulturelle und wirtschaftliche Wirkung einer zisterziensischen Niederlassung. Besichtigung des umfangreichen barocken Klosterkomplexes mit Kirche St. Maria Himmelfahrt, Fürstensaal, Refektorium, Sommerrefektorium des Abtes, Wirtschaftsgebäuden u.a.. Individuelle Mittagspause in Leubus.
Weiterfahrt durch das Bober-Katzbach-Gebirge, ehemaliges Leubuser Stiftsland nach Jauer/Jawor, vorbei an Weinberg/Winnica und Schlaup/Słup – ehemalige Grangie (Wirtschaftshof) und Stiftsdorf des Klosters Leubus – jeweils kurzer Stopp. In Jauer Besuch der evangelischen Friedenskirche „Zum heiligen Geist“, einem der bedeutendsten protestantischen Kirchenbauten in Schlesien (errichtet 1654/55; seit 2001 auf der Welterbe-Liste der UNESCO). Anschließend kleiner Stadtrundgang.
Rückfahrt nach Liegnitz, Abendessen und Übernachtung (Hotel Sekowski)
Friedenskirche in Jauer
Donnerstag, 15. Juni 2022
Frühstück im Hotel. Abfahrt zum ehemaligen Zisterzienserkloster Grüssau/Krzeszów – dritte Filialgründung von Leubus (1292) am Osthang des Riesengebirges, bedeutende böhmisch-österreichische Barockanlage aus dem 18. Jahrhundert mit Klosterkirche, Josephskirche mit Fresken des herausragenden Barockmalers Michael Willmann (1630-1706), der auch in Leubus wichtige Werke hinterlassen hat, Fürstengruft der Schweidnitzer Herzöge. Führung und Rundgang durch die Außenanlage.
Grüssau Josephskirche, Fresko von Michael Willmann
Nach individueller Mittagspause in Grüssau – Weiterfahrt nach Schömberg/Chełmsko Śląskie, einst Stiftsstadt des Klosters Grüssau an der Grenze zu Böhmen, Zentrum der Leinenweberei im 17./18. Jahrhundert, erhaltene Holzhauslaubenhäuser der „Webersiedlung 12 Apostel“ aus dem 17. Jahrhundert. Weiterfahrt nach Breslau über Kreisau/Kryzowa, ehemaliges Gut der Grafen von Moltke mit dem 1720 errichteten Schloss. Kreisau war auf Einladung des letzten deutschen Schlossherrn, Hellmuth James Graf von Moltke (1907-1945), Ort der Treffen der Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“ im Zweiten Weltkrieg (https://www.kreisau.de/). Dort kamen entschiedene Gegner des NS-Regimes zusammen, insbesondere überzeugte Christen wie etwa der Jesuitenpater Alfred Delp (1907-1945) oder der evangelische Pfarrer Harald Poelchau (1903-1972) und entschlossene Sozialdemokraten wie Theodor Haubach (1893-1945) und Carlo Mierendorff (1897-1943). Führung, Besuch des „Berghauses“ (Nebengebäude und eigentlicher Treffpunkt des Widerstandskreises).
Kreisau, Berghaus
Kaffeepause möglich. Weiterfahrt nach Breslau. Abendessen und Übernachtung in Breslau (Hotel Kamienice Pod Aniołami neben dem Stadtschloss)
Freitag, 16. Juni 2023
Frühstück im Hotel. Führung durch die historische Altstadt (Rathaus, Ring, Universität u.a.) von Breslau/Wrocław. Nach individueller Mittagspause nachmittags Fahrt nach Trebnitz/Trzebnica. Dort Besuch des einzigen Zisterzienserinnenklosters in Schlesien, gegründet 1202 durch Herzog Heinrich I. (um 1165-1238) und seine Ehefrau, die später heiliggesprochene Hedwig von Andechs (1174-1243), die wie ihre Nichte, die Hl. Elisabeth von Thüringen (1207-1231), die zisterziensische Bewegung entschieden förderte. Erstes Frauenkloster des Bistums Breslau, bedeutende Klosteranlage aus dem 18. Jahrhundert, Grablege der Hl. Hedwig, die bis heute als eine der herausragenden Persönlichkeiten gilt, die Deutsche und Polen miteinander verbindet.
Kloster Trebnitz
Abendessen und Übernachtung in Breslau (Hotel Kamienice Pod Aniołami)
Samstag, 17. Juni 2023
Frühstück im Hotel. Vormittags Programm-Alternativen für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Jüdische Spuren in Breslau: Erkundung der überaus bedeutsamen Geschichte der jüdischen Gemeinde in Breslau, die bis ins frühe 13. Jahrhundert zurückreicht. Aus ihr gingen neben Edith Stein (1891-1942) auch zahlreiche andere bedeutende Persönlichkeiten hervor, so etwa Ferdinand Lassalle (1825-1864), eine der wichtigsten Gründergestalten der Sozialdemokratie, oder Fritz Haber (1868-1934), der 1918 den Nobelpreis für Chemie erhielt (Besuch der Synagoge zum Weißen Storch, des Jüdischen Friedhofs u. a.). Oder Besuch im Stadtschloß (Dauerausstellung „1000 Jahre Breslau“). Individuelle Mittagspause. Nachmittags Freizeit in Breslau. De Teilnahmewünsche für die Programm-Alternativen werden zu Beginn der Reise abgefragt.
Breslau. Jüdischer Friedhof
Abendessen und Übernachtung in Breslau (Hotel Kamienice Pod Aniołami)
Sonntag, 18. Juni 2023
Rückreise nach Königswinter
Evtl. individuelle Übernachtung im HAUS SCHLESIEN (nicht im Reisepreis)
Dr. Inge Steinsträßer, Bonn / Prof. Dr. Winfrid Halder, GHH / Nicola Remig, HAUS SCHLESIEN
Informationen:
Preis:
1.120 € pro Person im Doppelzimmer für Mitglieder des Vereins HAUS SCHLESIEN
1.240 € pro Person im Doppelzimmer
Einzelzimmerzuschlag 125 €
Reise im modernen Reisebus, 1 Übernachtung im HAUS SCHLESIEN mit Einführungsabend,
1 Übernachtung in Ostritz, 2 Übernachtungen in Liegnitz, 3 Übernachtungen in Breslau inkl. Frühstück, Halbpension, Programm, Führungen und Eintritte, Audiosystem Quietvox, wissenschaftliche Reiseleitung und deutschsprachige polnische Reisebegleitung.
Zu Beginn der Reise wird ein Barbetrag von 50 € pro Person eingesammelt für nicht vorab planbare Kosten im Zusammenhang mit dem Kulturprogramm und Gebühren. Nicht benötigtes Geld wird am Ende der Reise mit Ihnen abgerechnet.
Anmeldung:
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INTERCONTACT Studien- und Bildungsreisen:
Marco Dietz
Tel. 02642-2009-18
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Informationen zum Reiseverlauf:
HAUS SCHLESIEN
Nicola Remig
Tel. 02244 886 232
kultur@hausschlesien.de oder remig@hausschlesien.de
HAUS SCHLESIEN – Dollendorfer Str. 412 – 53639 Königswinter-Heisterbacherrott
Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus
Direktor Prof. Dr. Winfrid Halder
Tel. 0211 16991-12
Bismarckstr. 90 – 40210 Düsseldorf
Bericht Beethovenreise 2022







Beethoven – die zweite!
„Auf den Spuren Ludwig van Beethovens in Böhmen-Mähren-Schlesien“
Kulturreise von und mit HAUS SCHLESIEN vom 8. bis 17. Mai 2022
Biografie und Werk Ludwig van Beethovens bildeten den Rahmen der gesamten Reise, eingebettet in eine wunderschöne Landschaft und in eine Vielfalt historischer Orte, die man von vornherein nicht unbedingt mit dem Komponisten in Verbindung bringen würde.
Ein musikalischer Einführungs- und Kennenlernabend am 8. Mai im HAUS SCHLESIEN steigerte die Vorfreude auf die Reise, nicht zuletzt durch die entzückenden kleinen Beethoven-Sonatinen für Mandoline und Klavier (WoO 44b, 43 b, 43 a), vorgetragen von der erst sechzehnjährigen Svenja Lienemann aus Hennef, begleitet von der Bonner Pianistin Liudmila Giovoina am Gerhart Hauptmann-Flügel.
Mit einem bequemen Bus von Decker-Reisen aus Königswinter starteten wir am nächsten Morgen erwartungsvoll in Richtung Dresden. In der sächsischen Residenzstadt hatte Beethoven 1796 bei Kurfürst Friedrich August III. eine Kostprobe seines Könnens am Piano gegeben, ehe er nach Leipzig und Berlin weiterreiste. Wir erlebten in Dresden eine hervorragende Stadtführung, die uns einen anschaulichen Überblick über das Musikschaffen am sächsischen Hof und einen Einblick in die wechselvolle Stadtgeschichte vermittelte.
Unsere nächste Station Oberglogau (poln. Głogówek) in Oberschlesien bewahrt mit dem jährlich stattfindenden Beethoven-Festival die Erinnerung an Beethovens Besuch im Jahre 1806 in Begleitung seines Hauptmäzens, Fürst Karl von Lichnowsky (1761-1814). Im örtlichen Museum, einer Partnerorganisation von HAUS SCHLESIEN, wurde uns durch den Leiter, Aleksander Devosques-Cuber, ein überaus herzlicher Empfang bereitet. Wir erlebten nicht nur eine interessante Führung durch das in Restaurierung befindliche Schloss und die Stadt, sondern nahmen in der prächtig ausgestatteten Stadtpfarrkirche St. Bartholomäus an einem eigens für uns vorbereiteten kleinen Orgelkonzert teil, ergänzt durch den klangvollen Gesang eines jungen Baritons.
Den Abend beschlossen wir in einem familiär geführten Hotel im oberschlesischen Neustadt (Prudnik), dicht an der Grenze zur Tschechischen Republik.
Am dritten Reisetag stand Jägerndorf (tschechisch Krnov), ein ehemals eigenständiges schlesisches Herzogtum, geprägt von den Fürsten von Liechtenstein, auf dem Plan. In Jägerndorf besuchten wir die Synagoge, durchwanderten die nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges restaurierte Innenstadt mit Minoritenkirche, Stadtpfarrkirche St. Martin, der gotischen Heilggeistkirche, heute Konzertsaal und setzten uns auf die Spuren des Jugendstilarchitekten Leopold Bauer (1872-1938). Die Wallfahrtskirche zur Schmerzhaften Muttergottes auf dem die Stadt alles überragenden Hausberg Cvilín ließ etwas von der Volksfrömmigkeit vergangener Zeiten erahnen. Von weit her grüßte uns hier schon der Gipfel des Altvaters, begehrtes Ziel unseres späteren Erholungsausflugs ins Gebirge.
Für die nächsten Tage hatte erst einmal das Leben aus dem Koffer ein Ende. Im Hotel Koruna in Troppau (tschechisch Opava) checkten wir für vier Nächte ein. Ein ausgiebiger Stadtrundgang machte uns mit der einstigen Hauptstadt (bis 1918) des kleinsten österreichischen Kronlandes näher bekannt. Wir entdeckten zu unserer Freude auch die Beethovengasse, an deren westlichen Ende sich im ehemaligen Mutterhaus der Deutschordensschwestern das „Kirchliche Konservatorium des Deutschen Ordens“ (Církevní konzervatoř Německého řádu) befindet, wo wir in den Genuss eines unvergesslichen Beethoven-Konzertes durch Studierende und Dozenten kamen. Die vom kleinen Kammerchor in deutscher Sprache vorgetragene „Ode an die Freude“ ließ uns alle miteinstimmen und die Hoffnung aufkeimen, die Welt möge tatsächlich angesichts aller politischer Krisen eine bessere werden.
Schloss Grätz (Hradec nad Moravici) war für uns Beethoven-Reisende ein absolutes Muss: Hier verbrachte Beethoven nachweislich 1806 und 1811 mehrere Wochen auf Einladung von Karl Lichnowsky. Dem Fürsten hatte Beethoven u.a. seine 2. Sinfonie und die Klaviersonate Nr. 8 c-moll, op. 13, die „Pathétique“ gewidmet. Das Schloss, heute ein Museum, birgt viele Erinnerungen an die Familie Lichnowsky, die bis 1945 hier lebte.
Ein Highlight unserer Reise war eine Tagesexkursion nach Olmütz (Olomouc), in die frühere Hauptstadt Mährens. Wir streiften unter der kompetenten Leitung des städtischen Tourismusführers, Stefan Blaho, durch eine liebenswerte Stadt mit zahlreichen schönen Gebäuden, Plätzen zum Verweilen, einem umfassenden Kulturleben und vielen sehenswerten Sakralbauten, allen voran der gotische Wenzelsdom.
Mährisch-Schlesien mit etwas Wehmut verlassend, begaben wir uns im letzten Teil unserer Reise nach Teplitz (Teplice) in Nordböhmen. Ein Zwischenstopp beim Schloss Doudleby (Daudleb) an der Adler in Ostböhmen, seit Jahrhunderten im Besitz der Grafen von Bubna-Litic, brachte uns nicht nur eine Stärkung mit leckeren Buchteln und Kaffee, sondern auch eine Begegnung mit dem Schlossherrn Peter Dujka und vor allem mit seiner Schwester, Monica Bubna-Litic, die so vieles zum Gelingen unserer Reise beigetragen hatte.
In Teplitz, dem seinerzeit mondänsten Kurort Europas, begaben wir uns wiederum auf Beethovens Spuren. Hier hatte 1812 das legendäre Treffen zwischen Beethoven und Goethe stattgefunden. Von beiden Kunstschaffenden lange herbeigesehnt, führte es aber nicht zur erhofften Harmonie. Beethoven kritisierte das in seinen Augen unterwürfige Verhalten des Dichterfürsten dem anwesenden Adel gegenüber, Goethe empfand Beethoven als „eine ungebändigte Persönlichkeit“, die sich nicht um die üblichen gesellschaftlichen Umgangsformen scherte.Hier in Teplitz hatte das hiesige Konservatorium für unsere Gruppe wiederum ein begeisterndes Beethoven-Konzert arrangiert, welches dem von Troppau in nichts nachstand.Unser Abendessen nahmen wir im Café Beethoven ein, ehemals Gasthof „Zur Harfe“, wo Beethoven bei seinem Aufenthalt 1812 logiert hatte. Das Geheimnis um den berühmten Brief Beethovens an seine „unsterbliche Geliebte“, von Solveig Palm anschaulich in Auszügen aus ihrem Bühnenstück „Es musste sein – fast eine Liebesgeschichte“ (2020) geschildert, ergänzt durch die Komposition „Andante favori“ (WoO 57), ließ sich jedoch bei allen lebhaften Spekulationen um die Identität der Unbekannten nicht lüften. Beethoven nahm das Geheimnis mit ins Grab!
Beethovens 2. Sinfonie begegnete uns am vorletzten Reisetag noch einmal am Beethovendenkmal in Karlsbad. An seinen Freund Franz Gerhard Wegeler hatte der Komponist am 16. November 1801 während der Arbeit an diesem Werk geschrieben: „Ich will dem Schicksaal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht“. Auf einem der Reliefs am Karlsbader Denkmal finden sich diese bemerkenswerten Worte wieder. In der Literatur wird die Entstehung der 2. Sinfonie als ein wichtiges Zeugnis für die inneren Kämpfe Beethovens gewertet, als seine fortschreitende Ertaubung immer deutlicher wurde.
Karlsbad und Franzensbad in Westböhmen als bekannte historische Kurorte im Dreibädereck, setzten zwei großartige Schlusspunkte unseres Beethoven-Memorial. Die gesamte Exkursion, voller intensiver Eindrücke und Erlebnisse, bleibt allen Mitreisenden in bester Erinnerung.
Inge Steinsträßer