Bis in die heutige Zeit sind nur wenige Fotos aus Zielona Góra/Grünberg erhalten geblieben, die die Stadt gleich nach dem Krieg, noch mit deutschen Werbeschriften und den neuen polnischen Einwohnern des ehemaligen Grünbergs darstellen. Eine solche einmalige Aufnahme findet sich in der Sammlung von Hieronim Rutkowski, der am 10. Juni 1945 mit seinen Eltern in die Stadt gekommen ist.
Nach der Ankunft in Grünberg suchten sich die Eltern ein Haus in der Widok-Straße (später: Chopin-Straße) aus: „Mein Vater und andere Ankömmlinge wanderten durch die Stadt und schauten sich verschiedene Wohnungen an. Jeder wollte die beste, die günstigste Unterkunft – am liebsten im Stadtzentrum – für sich und seine Familie finden. Wir nahmen ein Gebäude in der Widok- Straße ein. Es war ein großes Haus mit vier Zimmern, aber unsere Familie war auch nicht klein, da sie aus fünf Mitgliedern bestand.“ Das Haus war eigentlich mit allen lebenswichtigen Gegenständen ausgerüstet: mit Möbeln, Bettwäsche, Küchengeräten und, was für den heranwachsenden Hieronim und seine zwei Brüder am wichtigsten schien – mit Spielzeugen.
In den ersten Tagen am neuen Ort war der junge Hieronim Zeuge, wie die ehemaligen Grünberger ihre Häuser verlassen mussten und zum Bahnhof transportiert wurden: „Aus den Fenstern unseres Hauses konnten wir die in der Kolonne stehenden Deutschen beobachten, die zum Abmarsch Richtung Bahnhof bereit waren. Eines Tages gingen wir aus Neugierde hin, um zu sehen, wie die Deutschen die Stadt verlassen. Sie wurden in Personenwagen, nicht in Güterzüge, geladen und fuhren Richtung Grenze. Es herrschte dort ein großer Trubel, da vor allem ältere Frauen laut weinten und jammerten und die Kinder schrien. Die Männer beobachteten uns und die ganze Situation mit verbissenen Gesichtern. Ich glaube, sie waren böse, sehr böse, trotzdem konnten sie nichts dagegen tun.“
Noch vor dem Krieg trat Rutkowski der Pfadfinderbewegung bei, nach der Ankunft in der neuen Stadt pflegte er seine Interessen weiter und organisierte die erste Pfadfindergruppe im nun polnischen Grünberg. Die vorgefundenen Spielzeuge, die die jungen deutschen Einwohner Grünbergs hinterlassen hatten, erwiesen sich für Rutkowski und seine Kameraden als nützlich. „Der Sohn des ehemaligen Besitzers der Wohnung, die wir eingenommen haben, war Mitglied der Hitlerjugend. Er hinterließ viele Spielzeuge, von denen wir in unserer Mannschaft Gebrauch machen konnten. Es waren Trompeten, Trommeln, Signalgeber und sogar Wimpel. Die deutschen Farben haben wir weiß-rot überstrichen und so waren wir gut ausgerüstet. Zusätzlich hatten einige von uns eigene Pfadfinder-Uniformen. Wir waren sehr stolz als wir in unseren Uniformen durch die Straßen der Stadt wanderten. Wir freuten uns, dass wir nun unsere polnische Wesensart demonstrieren konnten.“
Das Titelbild wurde am 1. Mai 1946 während einer Maidemonstration gemacht. Im Vordergrund ist Hieronim in Pfadfinderuniform zu sehen. Er führt seine Mannschaft durch die Żeromski-Straße an der ehemaligen Tankestelle vorbei (linke Fotoseite). Manche Zugteilnehmer tragen diese Trompeten, Trommeln und Wimpel, die früher den jungen Einwohnern Grünbergs zum Spielen dienten und jetzt für die Bedürfnisse der polnischen Pfadfinder umgearbeitet wurden. Besondere Aufmerksamkeit erregen die Straßen selbst sowie die Wohnhäuser, die unversehrt erhalten geblieben sind. Es fällt auf, dass sie noch nicht bewirtschaftet wurden, in einigen sind eingeschlagene Fenstergläser. Doch auf den Vorderseiten der Häuser sind bereits weiß-rote Flaggen zu sehen. Auf dem Foto kommen die polnischen Aufschriften der neuen Läden und Betriebe zum Vorschein, doch wenn man das Bild vergrößert, sieht man hier und da noch die deutschen. Mit dem Übermalen der deutschen Ladennamen begann man sehr früh. Doch die zu diesem Zweck benutzte Farbe bedeckte die alten Schilder nur ungenügend. „Die Farbe, die zum Übermalen der Aufschriften diente, verschwand nach einem oder zwei Jahren und die deutschen Aufschriften kamen wieder zum Vorschein. Die Deutschen verfügten einfach über qualitativ bessere Dispersionsfarben und die der Polen waren schlechter. Die Behörde kümmerte sich darum, dass die Aufschriften aus der Zeit vor dem Krieg übermalt wurden, doch es ist nicht immer gelungen.“
Die Erinnerungen der ersten polnischen Einwohner der Obst- und Weinstadt Grünberg sind für uns heute eine wertvolle Quelle, seine jüngste und erst 70 Jahre alte polnische Geschichte kennenzulernen. Grünberg hatte das Glück, dass es fast gar nicht zerstört war, so ist jede Aufnahme, jedes Foto aus der 2. Hälfte der 1940er Jahre, das noch die deutsche und dann die polnische Stadt darstellt, ein Unikum und zweifelsohne eine Rarität.
Dieser Blogbeitrag ist ein Gastbeitrag aus dem Museum des Lebuser Landes in Grünberg (Muzeum Ziemi Lubuskiej). Das Bildmaterial entstammt der Sammlung des Museums. Mehr zum Museum und seinen Ausstellungen unter: https://mzl.zgora.pl/
Autor: Dr. Izabela Korniluk