„Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“ heißt es bei Matthäus 19, Vers 6. Es ist ein beliebter Trauspruch und wird gerne in Glückwunschkarten zitiert – vielleicht auch bei Karl und Berta, die am 3. August 1912 in Breslau geheiratet haben. Sie konnten damals nicht ahnen, wie das politische Weltgeschehen, dieses Versprechen auf die Probe stellen würde. Zwei Jahre nach der Eheschließung, als die gemeinsame Tochter Ruth kaum ein Jahr alt war, brach der Erste Weltkrieg aus und Karl wurde zum Militärdienst eingezogen. Nach dem Krieg fand er Arbeit als Bohrer bei den Breslauer Linke-Hoffmann Werken. Mit Berta, Tochter Ruth und Pflegesohn Günter, Sohn seiner im Kindbett verstorbenen Schwägerin, lebte er in der Posener Straße, ein beschiedenes, aber vermutlich erfülltes Leben.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde das Familienglück jäh unterbrochen: Pflegesohn Günter und Schwiegersohn Hermann wurden zur Wehrmacht eingezogen. Karl wurde zwar ausgemustert, nach dem Zusammenbruch der Ostfront und dem raschen Vorrücken der Roten Armee, jedoch in den Volkssturm berufen. In der Folge war er mehr als 80 Tage in der zur Festung erklärte Stadt Breslau eingeschlossen. Seine Frau, Tochter Ruth und der kleine Enkel waren im Januar 1945 dem Aufruf gefolgt, wonach Frauen und Kinder Breslau verlassen sollten. Sie flohen nach Strehlen und kamen nach der Vertreibung 1947 nach Minden in Westfalen. Karl erlebte das Kriegsende im stark zerstörten Breslau. Dem Befehl des „Führers“ folgend hatte Gauleiter Hanke die Festung Breslau bis zum letzten Mann verteidigen lassen. Erst am 6. Mai – vier Tage nach Berlin – kapitulierte Breslau.
Karl blieb zunächst in Breslau und wurde erst im Januar 1947 vertrieben. Erste Station war das Umsiedlerlager in der Ziethenkaserne im sächsischen Torgau. Von dort kam er kurz darauf nach Halle an der Saale. Hier erhielt er eine Anstellung als Bohrer im Ausbesserungswerk der Reichsbahn. Sein Schwiegersohn Hermann war Ende 1945 aus britischer Kriegsgefangenschaft gekommen und zwei Jahre Fahrer bei der British Army in Minden. Günter wurde erst 1948 krankheitsbedingt aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Beide kamen in die britische Besatzungszone und trafen dort mit der Familie zusammen. Karl war das zunächst nicht möglich. In den Nachkriegsjahren war die Reise von einer in die andere Besatzungszone nur mit einem Interzonenpass möglich. Diesen zu erhalten, war, wie Karl in einem Brief an die Familie im Dezember 1947 schrieb, in der sowjetischen Besatzungszone schwer. Vom „Schwarz über die Grenze fahren“ hatten ihm Kollegen abgeraten. So sollten nach diesem Brief, in dem er sich so sehr ein Zusammentreffen wünschte, weitere eineinhalb Jahre vergehen, ehe Karl zu seiner Familie nach Minden übersiedeln konnte.
Es gelang ihm erst im Sommer 1949 im Rahmen der Familienzusammenführung, in die kurz zuvor gegründete Bundesrepublik zu reisen. In Minden war er nach mehr als vier Jahren endlich wieder mit der Familie vereint. Lange konnte er das Glück nicht genießen – er starb bereits 1952.