„Wir haben hin und her überlegt. Erna will doch noch bleiben“ schreibt Dörte Altmann am 22. Januar 1945 an Frau Pastor Catenhusen in Potsdam. Der Familie Altmann gehörte, wie das Briefkuvert verrät, eine Autobus- und Kraftdroschkenvermietung in Haynau. In der Festschrift zum Haynauer Heimattag 1933 warb der Inhaber Kurt Altmann mit 28- und 32-sitzigen Kraftomnibussen für Gesellschaftsfahrten und Schulausflüge. Doch ging es jetzt nicht um Ausflugsfahrten, sondern um die Frage, ob man noch ausharren oder sich auf die Flucht begeben sollte.
Die Empfängerin des in Bleistift geschriebenen Briefes hatte wohl angeboten, die Familie Altmann könne, im Falle einer Evakuierung, zu ihr nach Potsdam kommen. Für dieses beruhigende Aufnahmeangebot, dankt ihr Dörte in dem dreiseitigen Schreiben gleich zweimal. Vor allem aber wägt sie selbst ab, was richtig wäre: Gehen oder bleiben? Sie schätzt, „daß es sich in 2-3 Tagen entschieden hat ob [sie] bleiben oder türmen. […]Noch hoffen [sie jedoch] alle, daß es nicht so weit kommt.“
Wenige Tage zuvor hatte die Rote Armee ihre Großoffensive von der Weichsel gestartet und war in kürzester Zeit bis Schlesien vorgedrungen: Viele tausend Menschen aus den Städten und Dörfern rechts der Oder sowie aus der zur Festung erklärten Stadt Breslau mussten in aller Eile evakuiert werden. Es waren vor allem Frauen, Kinder und alte Leute, die sich auf die Flucht begaben und versuchten in Richtung Sudeten oder nach Westen dem Kriegsgeschehen und der Bedrohung durch die russischen Soldaten zu entkommen. Denn alle Männer zwischen 16 und 60 wurden zum Volkssturm einberufen und mussten in den Ortschaften zurückbleiben und diese „entschlossen“ gegen den Feind verteidigen.
In ihrem Brief schildert Dörte die dramatische Situation der Flüchtlinge in Haynau. „Was hier auf der Straße Tag und Nacht ununterbrochen vorbeirollt ist unbeschreiblich.“ Und weiter schreibt sie von Lastautos mit Anhängern voller Menschen, von Kastenwagen, Pferdefuhrwerken, Frauen mit Fahrrädern oder zu Fuß nur mit einem Handkarren. Sie macht sich Gedanken, wo all die Flüchtlinge unterkommen sollen und fragt, ob die Oder wirklich ein Hindernis darstellen werde. Zwar liegt die damals rund 11.000 Einwohner zählende Stadt Haynau südwestlich der Oder, aber wird sie deshalb von den vorrückenden Truppen verschont bleiben? Dörte ist skeptisch und meint, „wenn wir nicht mit ganz gewaltigen Gegenwaffen kommen gibt’s keine Rettung […] Wenn der Russe nicht wieder zurückgeworfen wird und zwar sofort, bekommen wir den nie mehr raus.“ Sie ahnte zu diesem Zeitpunkt wohl kaum, wie prophetisch ihre Äußerung ist.



Am 8. Februar hatte die sowjetische Armee bei Steinau die Oder überquert und drang rasch weiter nach Westen vor. Nur zwei Tage später erreichte sie den Kreis Goldberg. Aus Haynau hatten in den Tagen zuvor noch mehrere Tausend mit der Bahn, mit Wagen oder zu Fuß fliehen können. Die letzten Flüchtlinge verließen in der Nacht vom 9. auf den 10. Februar die Stadt, die am folgenden Tag von den Russen eingenommen wurde. Rund 2000 Personen waren zu diesem Zeitpunkt noch in der Stadt zurückgeblieben.
Ob und wenn ja wann Dörte Altmann die Stadt verlassen hat, ist nicht überliefert.