Mit dem etwas improvisiert wirkenden, handgeschriebenen Zettel, bestätigt die Unterzeichnende, dass Herr Ludwig Böhm als Landarbeiter in ihren Diensten stand. Ihm wird bescheinigt während der Weinlese in dem Weinbaugebiet St-Émilion zur vollen Zufriedenheit seiner Chefin, Madame Roger Cassadour, gearbeitet zu haben. Soweit nichts Ungewöhnliches, doch betrachtet man den Geburtsort des Landarbeiters – Breslau – und dazu das Datum – Oktober 1939 – so irritiert es doch, denn knapp zwei Monate zuvor hatte Deutschland mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg ausgelöst.
Noch ungewöhnlicher erscheint die Bescheinigung, schaut man die beiden anderen vorhandenen Arbeitszeugnisse an: Ludwig Böhm war bis 1933 stellvertretender Direktor der Dresdner Bank in Breslau. Nach seinem Abitur hatte der am 23. September 1894 in Breslau geborene Ludwig Siegbert Böhm eine Lehre bei der Dresdner Bank in Breslau begonnen. Der 1913 ausgestellte Berechtigungsschein zum einjährig-freiwilligen Dienst ist nicht nur ein Beleg für seine wissenschaftliche Ausbildung, sondern weist auch auf die wirtschaftlich soliden Verhältnisse der Familie hin, denn Einjährig-Freiwillige musste in Friedenszeiten Unterbringung und Ausrüstung selbst finanzieren. Der Bescheid bzw. die angeheftete Zurückstellungs-Mitteilung bezeugen seine für die Aufrechterhaltung des Betriebes relevante Stellung bei der Bank: seine Arbeitskraft wurde vor Ort benötigt, wodurch er wenigstens teilweise im Ersten Weltkrieg seiner Dienstpflicht enthoben war. Das Arbeitszeugnis dokumentiert seine Karriere in der Bank, die mit seiner Entlassung Ende 1934 abrupt endet, obwohl die Position als Direktorder Filiale schon in greifbarer Nähe war.
Grund für die Kündigung war, wie auch ein Schreiben aus der Direktion beweist, nicht seine mangelnde Qualifikation oder persönlicher Verfehlungen. Vielmehr erfolgte sie aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933. Dieses erlaubte es den Nationalsozialisten jüdische Beamte aus dem Dienst zu entfernen. Finanzielle Probleme der Dresdner Bank hatten zur Folge, dass die Reichsregierung 1931 die Aktienmehrheit erlangte und die einstige Privatbank de facto verstaatlicht wurde. Folglich fand das Gesetz zum Berufsbeamtentum auch dort Anwendung. Da Böhm einer jüdischen Familie entstammte, musste er zum Jahresende 1934 die Bank verlassen. Er erhielt sogleich eine angemessene Stellung beim Bankhaus Georg Fromberg & Co. Der neue Teilhaber des Bankhauses., Hans Bruno Lessing, der ebenfalls aufgrund seiner jüdischen Herkunft seine Position im Vorstand der Dresdner Bank verloren hatte, stellte ihn ein. Die Zuverlässigkeit und Treue, die ihm im Arbeitszeugnis attestiert wird, waren Lessing zuvor bekannt und hatten ihn dazu veranlasst, sich „die Mitarbeit des Herrn Boehm für diese Firma“ zu sichern. Das Schreiben aus dem Juli 1939 hat Lessing in London verfasst. Nach der Arisierung des Bankhauses hatte er im September 1938 Deutschland verlassen und war nach Großbritannien geflohen, um einer Verhaftung zu entgehen.
Die handschriftliche Bescheinigung aus Südfrankreich ist Zeugnis dafür, dass auch Ludwig Böhm Deutschland verlassen hatte, zugleich ist sie das letzte Dokument, das von ihm vorliegt. Sein weiteres Schicksal lässt sich deshalb leider nicht weiter nachverfolgen.