In der Ausstellung Tradition im Zeitraum. 70 Jahre der Großen Wanderung im Hirschberger Riesengebirgsmuseum (Muzeum Karkonoskie) um die Jahreswende 2015/16 wurden viele Objekte aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und der späteren Umsiedlungen gezeigt. Die fast ein halbes Jahr dauernde Ausstellung wurde unter der Schirmherrschaft des Ministeriums für Kultur und Nationalerbe organisiert. Sie bezog sich auf Gegenstände, in denen die kollektive Erinnerung an die Zwangsmigrationen gespeichert war. Ihre bis jetzt nie dagewesene Dimension und geografische Ausdehnung verdienen im Nachhinein den Namen Große Wanderung. Die umgesiedelten Menschen kannten meistens das Ziel der Bahntransporte nicht. So wurde die kulturelle Eigentümlichkeit des heutigen Mitteleuropas geformt.
Unter den Ausstellungsstücken aus Museumssammlungen und Privathaushalten war u.a. eine in Deutschland gedruckte Luftbildkarte Polens von 1939 mit sehr genau gezeichneten, sogar kleinsten Ortschaften. Die Karte hat deutliche Gebrauchsspuren – Knicke, Scheuerstellen und einige rostbraun gewordene Flecken menschlichen Blutes.
Für die Ausstellungszwecke wurde die Karte von in Niederschlesien lebenden Schwestern ausgeliehen, die auch über die Geschichte des Exponats zu berichten wussten. Die Luftbildkarte bekamen sie von ihrem Vater Józef Mudrak (geb. 1922), der an den Kriegshandlungen teilgenommen hat.
Vor dem Krieg lebte er in seinem Heimatdorf Kopań in der Nähe von Lemberg, das er 1944 aufgrund der Gefährdung durch die ukrainischen Nationalisten verlassen musste. Sein im Ort verbliebener Vater Michał, Gemeindeschreiber in Świrz, wurde im März 1945 von den Ukrainern mit 17 Messerstichen ermordet. Die Ukrainische Aufstandsarmee führte damals unter der polnischen Bevölkerung, die dieses Land seit dem Mittelalter bewohnte, eine groß angelegte, grausame Säuberungsaktion ethnischen Charakters durch.
Als junger Soldat kämpfte Józef Mudrak in den Reihen der 2. Polnischen Armee. Seine Kampfroute führte über Bautzen nach Prag. Kurz vor Kriegsende fanden dort besonders schwere militärische Auseinandersetzungen statt. Nachher diente er in Görlitz an der neu gezogenen polnisch-deutschen Grenze. Als Militärsiedler wurde er zuerst in Radzimów/Bellmannsdorf (Gemeinde Schönberg), dann in Zawidów/Seidenberg und in Gierałtów/Gersdorf am Queis ansässig. Wegen der Zwangsaussiedlungen der Polen aus den damals abgetrennten Ostgebieten war eine Rückkehr in die Heimat nicht mehr möglich. Diese Gebiete wurden Teil des sowjetischen Staates. Die aus den Pogromen der deutschen Truppen und ukrainischen Einheiten geretteten Polen wurden mit Bahntransporten in die neuen, gemäß des Potsdamer Vertrags an den polnischen Staat angeschlossenen Gebiete gebracht. Sie wurden an Stelle der deutschen Bevölkerung angesiedelt, die sukzessiv nach Nachkriegsdeutschland abgeschoben wurde.
Die den Töchtern übergebene Karte stammt aus der Zeit der Frontkämpfe und gehörte ursprünglich einem deutschen Flieger, dessen Flugzeug abgestürzt war. Der verwundete Pilot hat angeblich überlebt, doch seine Blutspuren sind noch heute auf der Karte zu sehen. Mit solchen Luftbildkarten wurden die Besatzungen der deutschen Bombenflugzeuge, die die Luftangriffe auf polnisches Territorium verübten, seit Kriegsbeginn ausgestattet. Die Karten ermöglichten die Lokalisierung selbst der kleinsten Dörfer und die Genauigkeit der festgelegten Ziele weist bis heute auf die Präzision der kartographischen Bearbeitung hin. In der Kartenüberschrift ist der Name Polen zu sehen.
1. Holzbrücke des Grenzübergangs in Görlitz 1945; 2. Józef Mudrak mit seinen Schwestern Michalina und Katarzyna in Świrz unweit von Lemberg, um 1938; 3. Józef Mudrak mit dem Fahrrad während seines Militärdienstes am Grenzübergang in Görlitz 1945
4. Michał Mudrak, Józefs Vater, Gemeindeschreiber in Świrz, 1945 von den ukrainischen Nationalisten ermordet; 5. Heimatdorf der Familie Mudrak – Kopań in den 1950er Jahren, illegal vom Priester Mieczysław Kwiatkowski fotografiert; 6. Józef Mudrak, Erholung während seines Aufenthalts in Görlitz 1945
Dieser Blogbeitrag ist ein Gastbeitrag aus dem Riesengebirgsmuseum in Hirschberg (Muzeum Karkonoskie w Jeleniej Górze). Das Bildmaterial entstammt der Sammlung des Museums. Mehr zum Museum und seinen Ausstellungen unter: https://www.muzeumkarkonoskie.pl/
Autor: Henryk Dumin